Bereits seit 2016 in der Schweiz aktiv, sorgt die südkoreanische Sekte «Shincheonji» in den letzten Monaten zunehmend für Unruhe besonders unter jungen Christinnen und Christen. Die Schweizerische Evangelische Allianz SEA und die unter Studierenden tätigen Organisationen VBG und Campus Live sensibilisieren in Zusammenarbeit mit relinfo für die raffinierten Methoden, mit denen die Sekte offensiv neue Mitglieder anwirbt.
An einer Informationsveranstaltung berichtete die Fachstelle relinfo, was sie aufgrund ihrer Recherchen und insbesondere im Gespräch mit Betroffenen über «Shincheonji» herausgefunden hat. Ergänzt wurden diese Ausführungen von persönlichen Einblicken einer jungen Frau, die selbst drei Jahre lang Mitglied der Sekte war. Dies erlaubte es den Anwesenden, darunter auch direkt Betroffene, sei es im privaten oder beruflichen Kontext, sich ein Bild von der Problematik, aber auch den Präventions- und Interventionsmöglichkeiten zu machen.
Diverse Merkmale problematischer Gemeinschaften erfüllt
«Shincheonji» ist Koreanisch und heisst auf Deutsch «Neuer Himmel und neue Erde». In der Art und Weise, wie diese sogenannte Neuoffenbarungsreligion organisiert ist, wie sie missioniert, sowie an den vermittelten Glaubensinhalten lassen sich zahlreiche kritische Anzeichen erkennen, die für die Sektenhaftigkeit dieser Organisation sprechen.
Täuschung, Kritikverbot
Die Zielgruppe sind primär 18- bis 25-jährige, am christlichen Glauben und der Bibel interessierte junge Menschen. Deren Ansprache geschieht vor allem über soziale Medien und gezielt im öffentlichen Raum, beispielsweise in der Nähe von Kirchen. Dabei wird die Identität meist verschleiert. Es wird darum gebeten, an einer Umfrage teilzunehmen, wobei die Fragen auffallend persönlich sind. Ziel ist es, Informationen über die aktuelle Lebenssituation der Person zu erhalten und abzuschätzen, ob sie zur Zielgruppe gehört.
Wer sich zur Teilnahme an einem Bibelkurs überzeugen lässt, wird bezüglich der Identität der anderen Kursteilnehmer getäuscht. Die Sitznachbarn sind in Wahrheit bereits Mitglieder der Sekte und haben die Aufgabe, allfällige Zweifel bei den Neuen zu entkräften, Kritik abzuwehren und die vermittelten Inhalte zu verstärken. Man wird intensiv begleitet und betreut, umgekehrt wird der Kontakt zum Umfeld ausserhalb mehr und mehr unterbunden. Allein schon das geforderte zeitliche Engagement für Schulungen und Gottesdienstbesuche verunmöglicht es, das bisherige Sozialleben weiterzuführen.
Führungskult, Exklusivität
Inhaltlich vermittelt der Kurs, dass es eine gute und eine böse Gruppe von Menschen gibt, wobei «Shincheonji» die guten, alle anderen die bösen sind. Die Kirche führe ins Verderben, nur «Shincheonji» werde gerettet. Der Gründer Man-Hee Lee hat sich selbst zum König des Universums gekrönt und versteht sich als Engel, der das Neue Testament erfüllt, und seine Worte als Worte Gottes.
Voraussetzungen für die Mitgliedschaft («Übergang vom Tod zum Leben») sind drei Schulungen, die Akzeptanz des Führers, drei- bis viermal wöchentliche Präsenz an Veranstaltungen und bestandene Tests.
Abzocke
Von Mitgliedern wird mindestens die Abgabe des zehnten Teils des Einkommens erwartet. Zudem finanziert sich die Gemeinschaft über verschiedene Tarnorganisationen, die beispielsweise vorgeben, Friedensarbeit zu leisten.
Love-Bombing, Drohungen, Meidung von Ehemaligen
Interessierte werden mit Komplimenten überschüttet und umgarnt. Will man jedoch aussteigen, wird ein hoher psychischer Druck ausgeübt. Wem es gelingt, diesem Druck über längere Zeit nicht nachzugeben, wird schliesslich fallengelassen und der Kontakt abgebrochen.
Immer ein offenes Ohr haben
Laut relinfo ist es im Umgang mit Menschen in einer problematischen Gemeinschaft am wichtigsten, den Kontakt unter allen Umständen aufrechtzuerhalten und zu signalisieren, stets für die Person da zu sein. Dies bestätigt auch die Aussteigerin: Eine grosse Schwierigkeit beim Ausstieg sei die Abkapselung von ihrem früheren Umfeld gewesen. Präventiv ist vor allem Sensibilisierung und Information zentral, damit Menschen die Problematik erkennen können, bevor sie der Gemeinschaft beitreten.
Informationsbroschüre in Erarbeitung
Die Ausmasse sind in der Schweiz bislang überschaubar. Es gibt eine Gemeinde von «Shincheonji» in Zürich mit geschätzten 250 Mitgliedern sowie eine in der Westschweiz. Doch die Zahl derjenigen, die zu rekrutieren versucht werden, ist ungleich grösser, denn viele steigen wieder aus, bevor sie richtig drin sind. Das bestätigen sowohl die Häufigkeit von Anfragen zu «Shincheonji» bei relinfo – eine Handvoll pro Woche – als auch die Erfahrungen von SEA, VBG und Campus Live.
Im Auftrag der drei Organisationen erarbeitet relinfo derzeit eine Broschüre mit allem Wissenswerten über «Shincheonji». Sobald sie bereit ist, wird sie über die Kanäle der SEA zugänglich sein.
Weitere Informationen
Video von SRF Impact (mit Jaël Binggeli, SEA-Jugendbeauftragte)
Video von brave beLIFE