Ein typisches, wenn auch nicht das schwerwiegendste Symptom einer Covid-19-Erkrankung ist der Verlust des Geschmack- und Geruchsinnes. Schokolade oder Raclette schmecken auf einmal wie Karton. Und Erkrankten ist es egal, ob es nach Parfüm oder vollen Windeln riecht. Die gegenwärtige Krise führt auch auf sozialer Ebene zu «Geschmacksverlust». Sei es aufgrund der sozialen Distanz oder weil die Spannungen so gross sind, dass man sich nicht mehr riechen kann.

 

Auch in christlichen Gemeinschaften öffnen sich Gräben. Teilweise in einer Heftigkeit, die man vor einigen Monaten noch nicht für möglich gehalten hätte. Die behördlichen Massnahmen, die Impffrage oder die Rolle der Medien werden nicht nur intensiv diskutiert, sondern führen auch zu Zerwürfnissen mitten durch Familien und Kirchen hindurch. In einer Umfrage der SEA im letzten Herbst berichtet rund die Hälfte der befragten Pfarrpersonen von Spannungen in der Gemeinschaft bezüglich der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von verschiedenen Informationen zur Pandemie oder wegen unterschiedlichen Deutungen der Krise. Arten diese Spannungen zu offenen Konflikten aus, ist das bitter für ein gelingendes Miteinander. Aber auch, weil dies die Glaubwürdigkeit von uns als Botschafterinnen und Botschafter des Evangeliums kompromittiert.

 

Dass wir mit unserem Leben eine gute Duftnote hinterlassen, ist ein beliebtes biblisches Motiv. Die biblischen Autoren sprechen dabei von einem «Wohlgeruch». Paulus schwärmt in diesem Zusammenhang über seine Geschwister in Philippi:

 

«Ich habe aber [von ihnen] alles erhalten und habe Überfluss. Ich habe in Fülle.»
(Phil 4,18; vgl. auch 2 Kor 2,14-15)

 

Sind Beziehungen intakt, erfahren wir andere Menschen als Ermutigung, als Segen, als etwas Guttuendes. Gerade jetzt ist es entscheidend, dass wir füreinander «Wohlgeruch» bleiben. Gerade jetzt brauchen wir Gemeinschaft, in der wir einander bejahen. Und das bedeutet nicht, dass wir in allen Punkten immer einer Meinung sein müssen. Gerade jetzt gilt es «Gemeinsam besser» – unser Motto als SEA – zu leben. Die Gesellschaft braucht eine Kirche, die sich denjenigen zuwendet, die besonders leiden und Hilfe brauchen. Denn nur so wird die Kirche einen Duft verbreiten, der sie als Botschafterin des Evangeliums glaubwürdig macht (vgl. Joh 13,35).

 

Je länger die Krise dauert, desto klarer wird: Für die erfolgreiche Bewältigung der Pandemie brauchen wir nicht nur medizinische, wirtschaftliche oder politische Massnahmen. Wir müssen uns auch für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und unserer Kirchen engagieren – und zwar durch eine Geisteshaltung, die dem Evangelium entspringt.

 

Zuallererst müssen wir uns eingestehen, dass unser bisher recht geregeltes und überschaubares Leben durch die Pandemie gehörig auf den Kopf gestellt worden ist. Plötzlich müssen wir mit Unwägbarkeiten und starken Einschränkungen zurechtkommen. Viele von uns erfahren zum ersten Mal am eigenen Leib: Diese Welt ist aus den Fugen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass auch unser Miteinander vermehrt von Störungen, Irritationen oder gar offenen Konflikten betroffen ist. Wie kaum zuvor werden wir uns unserer Grenzen und Abhängigkeiten bewusst. In Wirklichkeit haben wir eben nur sehr wenig im Griff. Und auch ein Leben mit Christus bewahrt uns nicht vor den Stürmen des Lebens. Sich plötzlich nicht mehr in einer Position der Stärke wiederzufinden, kann auch heilsam sein. Denn gerade dort eröffnet sich Raum, wo wir Gottes unverschämte Gnade ganz neu und tief erfahren können (vgl. 2 Kor 12). Und es gibt wohl keinen Duft, der unwiderstehlicher ist als jener der Gnade.

 

Die Erfahrung der eigenen Begrenztheit und der Gnade Gottes verhilft zu einer Haltung der Gelassenheit und Bescheidenheit. Christinnen und Christen, welche in der Krise die eigentliche Ursache und die richtigen Massnahmen ganz genau zu kennen meinen, sind kaum eine grosse Hilfe. Sie missachten, dass sie in konkreten Sachfragen nicht über mehr Wissen verfügen als die dafür zuständigen Fachleute (vgl. Punkt 4 im Thesenpapier «Jesus im Mittelpunkt behalten – trotz Corona»). Johannes Hartl, Leiter des Gebetshauses Augsburg, schreibt in einem Facebook-Post: «Ich träume davon, dass man über Menschen, die mit Gott leben, sagt: ‹seht wie sie lieben!›, nicht ‹seht wie genau sie erklären können, was alles falsch läuft in der Welt›.»

 

Wenn wir als Kirche jetzt unsere Stimme erheben, dann für die besonders Verletzlichen: für bedürftige oder einsame Menschen jeglichen Alters. Denn wer sich von Gott getragen weiss, kann seinen Blick von sich weg auf diejenigen Menschen richten, die Hilfe brauchen. Das ist der Duft, den Christinnen und Christen während aller Jahrhunderte immer wieder verbreitet haben – der angenehme Duft tätiger Liebe.

Wöchentliche Gebetsabende ab 19. April bis Pfingsten

Was uns als SEA speziell bewegt, ist das Schicksal jener Menschen, die aktuell besonders leiden und deren Stimme kaum gehört wird. Wir wollen Betroffenen zuhören, gemeinsam für sie beten und darüber nachdenken, was wir praktisch für sie tun können – ganz im Sinn von Paulus:

 

«Darum macht euch gegenseitig Mut und helft einander im Glauben weiter, wie ihr es ja auch jetzt schon tut.»
(vgl. 1 Thess 5,11)

 

Dazu laden wir gemeinsam mit verschiedenen SEA-Arbeitsgemeinschaften zu fünf Gebetsabenden via Zoom ein. Zu Wort kommen sollen Menschen aus unserer Mitte: Familien und Singles, Menschen mit Behinderungen, solche mit Migrationshintergrund, Notleidende aus Entwicklungsländern, verfolgte Christen und andere. Die Treffen finden ab dem 19. April jeweils am Montagabend statt. Voraussichtlich wird die Aktion mit einem neuerlichen nationalen Gebetsanlass «Gemeinsam beten» am Pfingstmontag, 24. Mai, abgeschlossen. Weitere Informationen folgen.

Klar dürfen wir uns auch in die Debatte einmischen. Dabei stellt sich die Frage, welchen Duft wir mit unserer Art der Gesprächsführung verbreiten. Erfährt der oder die andere bei allen Meinungsverschiedenheiten Respekt und Wohlwollen? Christian Haslebacher, Vorsitzender Regionalleiter bei Chrischona, macht in einem Blogbeitrag zudem darauf aufmerksam, dass es gerade jetzt entscheidend ist, angemessen zwischen theologischen Fragen zu gewichten. Die Impffrage ist eben keine theologische Kernfrage, sondern «Adiaphora» – ein Mittelding. In vielen Themen dürfen Christinnen und Christen getrost unterschiedlicher Meinung sein.

 

Wir versuchen, im SEA-Team diese Geisteshaltung im Kleinen einzuüben. Nach wie vor werden wir uns nur zurückhaltend in die Deutung der Krise einmischen. Aber umso engagierter wollen wir in Jesu Sinn unseren Glauben teilen, Gemeinschaft fördern und die Gesellschaft verändern.

 

Andi Bachmann-Roth