Verschiedene Kirchen haben umfangreiche Studien in Auftrag gegeben, um den Umfang und das Ausmass von Missbräuchen in ihren Institutionen unabhängig aufzuarbeiten. Neben der katholischen Kirche hat unlängst auch eine christliche Privatschule für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt. Die Schweizerische Evangelische Allianz SEA ist dankbar über die Bereitschaft der Kirchen, Licht in die dunklen Kapitel ihrer Geschichte zu bringen. Es gilt, hinzuschauen, damit Missbräuche in Zukunft verhindert werden können.
Ein Dokfilm von SRF gibt erschütternde Einblicke in Missbräuche in der Kirche und Schule Hof Oberkirch, die vom ehemaligen Schokoladenunternehmer Jürg Läderach mitgegründet wurde. Johannes Läderach, der aktuelle CEO von Läderach und selbst ehemaliger Schüler jener Schule, sagt dazu im Tagesanzeiger vom 23.9.2023: «Es belastet mich, dass ich die Missbräuche als Kind und Jugendlicher nicht verhindern konnte. Umso wichtiger war es mir als Erwachsener, dies alles aufzuarbeiten.»
Die Ergebnisse der Studien machen auch die SEA betroffen und zeigen ein erschütterndes Ausmass. Der Blick in die Vergangenheit schmerzt. Übergriffe und Missbrauch haben das Leben von unzähligen Menschen auf schändlichste Art und Weise geschädigt. Nebst den seelischen Wunden wurde das Vertrauen in andere Menschen, in die Kirche und nicht zuletzt auch in Gott zutiefst erschüttert. Die frohe Botschaft des Evangeliums wurde durch das Handeln (oder Nicht-Handeln) von Kirchen nachhaltig diskreditiert. Das Vertrauen wieder herzustellen, wird alle Kirchen über Jahrzehnte beschäftigen. Es ist vor allem zu hoffen, dass nun die Betroffenen Hilfe, Gehör und Unterstützung finden.
Gerade als christliche Institutionen müssen wir weiter intensiv an Strukturen, einer Theologie und einer Kultur arbeiten, in der Menschen Würde, Schutz und einen professionellen und heilsamen Umgang mit Nähe und Distanz erleben. Als Schweizerische Evangelische Allianz versuchen wir mit dem Netzwerk «Gemeinsam gegen Grenzverletzung» sowie der «Charta christlicher Kinder- und Jugendarbeit» einen Beitrag dazu zu leisten.
Wie mit der Schuld von früher umgehen?
In der öffentlichen Wahrnehmung wird heute kaum zwischen den Tätern von gestern und den Verantwortlichen von heute unterschieden. Zudem werden oft sämtliche Kirchen in denselben Topf geworfen. Das ist aufgrund der Schwere der Vorkommnisse nachvollziehbar. Dennoch sollte differenziert werden.
Johannes Läderach sagt dazu im Tagesanzeiger: «Die Generation von heute kann das Unrecht der vorhergehenden Generation zwar nicht ungeschehen machen, aber sie kann es zumindest transparent machen. Der Untersuchungsbericht von 2022 ist öffentlich zugänglich.» Und weiter: «Ich plädiere dafür, dass man das Unternehmen nach den Menschen beurteilt, die jetzt die Verantwortung tragen. Und vor allem nach den 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie machen den grossen Teil der Arbeit, sie sind der Grund für unseren Erfolg.»
Die ganze Geschichte erzählen
Die SEA ist dankbar, dass Medien ihre Aufgabe als vierte Gewalt wahrnehmen und Betroffene zu Wort kommen lassen. Im bereits zitierten Interview im Tagesanzeiger und in weiteren Medien konnte Johannes Läderach ausführlich Stellung nehmen. Dadurch konnte er klarstellen, was der SRF-Dokfilm sträflich vernachlässigt hatte: Die jetzige Generation steht für andere Werte: Gewaltfreie Erziehung, Transparenz und ein frohes Evangelium. SRF hatte es im Dokumentarfilm unterlassen, die heutige Generation ebenfalls zu Wort kommen zu lassen, die sich schon länger von den Machenschaften ihrer Vorgängergeneration distanziert und deren Untersuchung selbst angestossen hat.
Kritik an der Sendung «Espresso» auf SRF
Angesichts der erwähnten Missstände im kirchlichen Umfeld hat SRF auch einen Radio- und Online-Beitrag veröffentlicht, der in allen Details erklärt, wie man aus der Kirche austritt. Diese Art der Berichterstattung erachtet die Schweizerische Evangelische Allianz als tendenziös und nicht einem öffentlichen Interesse dienlich. Daher wurde SRF gebeten, den Artikel zu entfernen.