In diesem Interview teilen wir die bewegende Geschichte der Familie Kittel, die mit der schwerwiegenden Diagnose für ihr ungeborenes Kind konfrontiert wurde. Mit tiefem Glauben und grosser emotionaler Stärke entschieden sie sich, den Weg trotz der schmerzhaften Prognose zu gehen und ihr Kind bis zum Ende der Schwangerschaft zu begleiten.
Im Gespräch erzählt die Mutter, Maike Kittel, von den emotionalen Herausforderungen, die sie durchlebte, von den Momenten der Hoffnung und Verzweiflung sowie von der Bedeutung des Glaubens und der Unterstützung ihrer Familie und Freunde. Diese Geschichte soll nicht nur berühren, sondern auch anderen Eltern Mut machen, die sich in ähnlichen Lebenssituationen befinden.
Wie haben Sie die Nachricht vom schweren gesundheitlichen Zustand Ihres Kindes aufgenommen?
In der 17. Schwangerschaftswoche ging ich alleine zur Routineuntersuchung bei meiner Frauenärztin. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich sehr gut. Auch die fünf vorherigen Schwangerschaften verliefen problemlos, und ich konnte alle Kinder ungefähr zum errechneten Geburtstermin spontan entbinden. Mein Mann und ich sind beide gesund und haben keine Vorerkrankungen oder genetischen Defekte in der Familie. Der Gedanke, dass es unserem Kind nicht gut gehen könnte, kam uns nicht in den Sinn.
Während der Untersuchung sah meine Frauenärztin plötzlich besorgt aus und wurde unruhig. Nach einer Weile teilte sie mir mit, dass sie kaum Fruchtwasser erkennen könne, was auf eine Nierenfunktionsstörung oder Zystenbildung bei unserem Kind hindeuten könnte. Um sicherzugehen, empfahl sie mir, noch am selben Tag zur Frauenklinik im Kantonsspital St. Gallen zu gehen.
Diese Nachricht war für mich ein Schock. Meine Frauenärztin gab mir zu diesem Zeitpunkt noch keine detaillierten Informationen über die Schwere der Situation. Ich wäre jedoch ohnehin nicht in der Lage gewesen, das alles zu verarbeiten. Sie rief in der Klinik an, und ich sollte mich dort einige Stunden später melden.
Zu Hause begann ich sofort, im Internet nach Informationen zu suchen, was mich immer verzweifelter machte. Da mein Mann in Deutschland war und es eine Weile dauern würde, bis er zu mir kommen könnte, rief ich eine Freundin an, die mich dann zum Frauenarzt begleitete. Ich war völlig verzweifelt und weinte unkontrolliert aus Angst vor der Diagnose und dem Wunsch, nicht wahrhaben zu wollen, dass etwas nicht stimmte. Gleichzeitig hatte ich immer wieder die Hoffnung, dass meine Frauenärztin sich geirrt haben könnte und alles in Ordnung sei.
Nachdem die Diagnose «Potter-Syndrom» im Krankenhaus bestätigt wurde, gingen wir verzweifelt nach Hause. Uns wurde mitgeteilt, dass das Kind nach der Geburt nicht lebensfähig sein würde, die Schwangerschaft aber bis zum Schluss «normal» verlaufen könnte und es dem Kind im Mutterleib gut gehen würde, obwohl es sich aufgrund des fehlenden Fruchtwassers weniger bewegen könnte. Die darauffolgenden Tage waren entsetzlich. Wir versuchten, weiter zu arbeiten und uns um unsere Kinder zu kümmern, schwankten jedoch ständig zwischen Hoffnung und tiefer Verzweiflung.
Welche Gedanken oder Gefühle hatten Sie, als Sie mit der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs konfrontiert wurden?
Im Kantonsspital wurde uns gesagt, dass wir momentan keine Entscheidung treffen müssten. Man gab uns Zeit, in Ruhe zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Niemand drängte uns zu einem Abbruch oder riet uns dazu, sie erwähnten nur, dass diese Möglichkeit bestehe. Was ich in diesem Moment als besonders wichtig empfand, war, dass uns nichts aufgedrängt wurde.
Der Gedanke, die Schwangerschaft oder die Tatsache, dass mein Kind nach der Geburt sterben würde, durch einen Abbruch zu beenden, begleitete mich. Diese Option, die ich in der Hand hatte, war sehr schwer zu ertragen. Ich wollte für meine anderen Kinder da sein. Gleichzeitig hatte ich grosse Angst und zu diesem Zeitpunkt noch keine tiefe Bindung zu meinem ungeborenen Kind aufgebaut. Mehrere Tage lang dachte ich ernsthaft darüber nach, einen Abbruch vorzunehmen, um das Unvermeidliche zu beenden und die Kontrolle zurückzugewinnen. Auch die Fragen meiner Kinder machten es nicht leichter, und die Verzweiflung lastete schwer auf uns allen.
Was hat Sie dazu bewegt, die Entscheidung zu treffen, das Kind trotz der schwierigen Prognose auszutragen?
In den ersten Tagen trafen wir uns mit Freunden, die für uns beteten. Ich habe mit Gott gehadert und ihn angeklagt. Ich sagte zu Gott, dass ich die Schwangerschaft und die Geburt durchstehen würde, aber er müsse dafür sorgen, dass ich nicht zerbreche. Ich wollte für meine Kinder da sein und nicht krank werden.
Mir wurde klar, dass ich nicht das Recht hatte, über Leben und Tod zu entscheiden. Ich hatte nichts dazu beigetragen, dass dieses Kind in mir wuchs, und ich wollte es Gott überlassen, wie alles weitergeht. Ich bat Gott, den Zeitpunkt der Geburt gut zu legen, da es viele Termine gab und unklar war, wie lange die Schwangerschaft dauern würde.
Zusätzlich konnte ich meine Perspektive ändern. Mein Kind konnte nichts dafür, dass es krank war. Ich wollte ihm die Zeit, die es bei uns verbringen durfte, auch wenn es nur im Mutterleib war, so schön wie möglich machen. Es war seine Lebenszeit, und ich hatte kein Recht, sie zu verkürzen. Auch die Lebenszeit meiner anderen Kinder liegt nicht in meiner Hand. Ich wollte dankbar sein für die Zeit, die ich mit meinem Kind habe.
Mein Mann sagte mir, dass er seine Entscheidung davon abhängig machen würde, wie es mir gesundheitlich gehe. Wäre es mir schlechter gegangen, hätte er möglicherweise auch einen Abbruch in Erwägung gezogen. Aber ab dem Moment, in dem wir uns entschieden hatten, nie wieder an einen Abbruch zu denken, kam uns dieser Gedanke nicht mehr in den Sinn. Nach einigen Wochen erschien es mir sogar absurd, jemals einen Abbruch in Erwägung gezogen zu haben. Vor der Diagnose hatte ich mich nie eingehend mit dem Thema befasst.
Gab es in Ihrem Umfeld oder bei medizinischen Fachleuten Druck, einen Schwangerschaftsabbruch in Betracht zu ziehen?
Nein, im Kantonsspital habe ich keinen Druck erlebt. Man sagte uns, dass es ein schwieriger Weg sei, ein Kind mit dieser Diagnose auszutragen, aber dass es möglich sei und für die Verarbeitung hilfreich sein könne.
In unserem persönlichen Umfeld gab es teilweise Besorgnis um meinen gesundheitlichen Zustand und Unverständnis darüber, warum man ein Kind mit einer so schweren Diagnose austrägt. Manche fragten, warum wir uns das antaten und nicht die Möglichkeit eines Abbruchs wählten. Das hat mich tief erschüttert. Doch je sicherer ich mir meiner Entscheidung war und je mehr ich darüber sprach, desto weniger Kommentare zu einem Abbruch erhielt ich. Ich habe das Gefühl, dass einige Menschen dadurch ihre Meinung geändert haben.
Wie haben Sie die Zeit der Schwangerschaft erlebt, nachdem Sie die Entscheidung getroffen hatten, Ihr Kind zu behalten?
Wir versuchten, schöne Dinge zu unternehmen und die Zeit mit unserem ungeborenen Kind zu geniessen. Manchmal gelang es uns, kleine Ausflüge zu machen und sogar zu lachen. Es fühlte sich jedoch oft an, als lebten wir in einer «Blase». Besonders schwer war es, wenn Menschen fragten, wann das Kind kommen würde oder wie es mir ginge. Es war kaum auszuhalten, ihnen zu erklären, dass unser Kind nach der Geburt nicht leben würde. In solchen Momenten sagte ich manchmal einfach, dass es mir gut gehe.
Auch Begegnungen mit anderen Schwangeren waren schwer, ebenso wie die Erklärung gegenüber unseren Kindern, dass ihr Geschwisterchen nicht leben wird und wir eine Beerdigung planen müssen. Als Schwangere ist man ohnehin körperlich eingeschränkt, was für unsere Kinder auch Verzicht bedeutete.
Wir wussten nie genau, wann das Kind zur Welt kommen würde, und mussten ständig einen Plan B parat haben. Es war ein Ausnahmezustand, und ich nahm die Tage so, wie sie kamen. Manchmal ging es mir auch körperlich nicht gut, ich hatte beispielsweise Schmerzen.
Hatten Sie in dieser Zeit Unterstützung, sei es von Familie, Freunden oder professionellen Beratern?
Ich habe viel in Internetforen gelesen. Es gibt Websites, auf denen Eltern über ihre Erfahrungen während der Schwangerschaft, die Geburt und die Zeit danach berichten. Diese Berichte haben mir sehr geholfen, vor allem die von Kindern mit der gleichen Diagnose. Dort wird offen über schwierige Themen gesprochen, und ich habe viele Anregungen bekommen, zum Beispiel für die Planung einer Beerdigung oder um Erinnerungen zu schaffen. Es war beruhigend, von Menschen zu lesen, die Ähnliches durchgemacht haben und es geschafft haben. Das hat mir Hoffnung gegeben, dass auch wir es schaffen würden.
In dieser Zeit habe ich alles viel intensiver wahrgenommen. Ich war dankbar für meine Kinder, meinen Mann und die hervorragende Betreuung, die wir erhielten. Allerdings habe ich nur mit wenigen Menschen aktiv Kontakt gehabt. Es war oft zu anstrengend, alles zu erklären, und die Hilflosigkeit meines Gegenübers war manchmal schwer zu ertragen. Aber es gab auch gute Freunde, die einfach da waren und zugehört haben. Manchmal war es schwierig, stark zu bleiben und sich abzugrenzen, daher habe ich mich zurückgezogen und war am liebsten allein mit meiner Familie. Freunde, die unkompliziert waren und nicht zu viele Fragen stellten, waren in dieser Zeit besonders hilfreich.
Wir haben auch einen Brief an alle geschrieben, in dem wir die Diagnose erklärten und darum baten, nachsichtig mit uns zu sein, da wir nie wussten, wie es uns von Tag zu Tag gehen würde. Mein Mann hat sich um die organisatorischen Dinge gekümmert, wie das Bestellen des Mosekörbchens, und er hat auch viel professionelle Unterstützung bekommen.
Was bedeutete es für Sie, Ihr Kind nach der Geburt kennenzulernen, auch wenn die Zeit begrenzt war?
Unser Sohn Sera lebte eine Stunde nach der Geburt. Ich konnte ihn halten, und er ist friedlich in meinen Armen eingeschlafen. Er öffnete die Augen nicht und schnappte nur leicht nach Luft. Mein Mann und ich waren allein im Geburtszimmer, und niemand störte uns. Es waren die schmerzhaftesten Minuten meines Lebens, aber gleichzeitig war ich erleichtert, dass ich die Geburt geschafft hatte und meinen Sohn in meinen Armen halten konnte. Ich bin dankbar, dass er in meinen Armen sterben durfte, dass ich ihn sehen und spüren konnte und wir ihn segnen konnten.
Ich durfte dann noch zwei Tage im Einzelzimmer im Kantonsspital verbringen und hatte meinen Sohn bei mir, wann immer ich wollte. Unsere Kinder und Verwandten besuchten uns, und wir konnten Fotos machen. Es war so wichtig, dass Sera dadurch sichtbar seinen Platz in unserer Familie eingenommen hat. Dieser bewusste Abschied war entscheidend, um zu realisieren, was geschehen war. Ohne das hätte ich es wohl nicht wirklich begreifen können.
Wie blicken Sie heute auf die Entscheidung zurück, Ihr Kind auszutragen, und welche Gedanken begleiten Sie?
Für uns war es die einzig richtige Entscheidung, und ich würde immer wieder so handeln. Es war die schwierigste und traurigste Zeit meines Lebens. Oft dachte ich, dass ich es nicht schaffen würde, und ich war verzweifelt. Aber ich habe die Lebenszeit meines Kindes sehr bewusst erlebt. Mir ist klar geworden, dass jedes Kind ein Geschenk ist und dass wir unser Leben nicht in der Hand haben.
Ich bin dankbar, dass es Menschen gab, die für uns gebetet haben. Oft konnte ich selbst nicht beten, und es war ein grosser Trost, zu wissen, dass andere dies für uns getan haben. Ich weiss, wie mein Sohn ausgesehen hat, und natürlich frage ich mich oft, wie er jetzt wäre und was für ein Junge er geworden wäre. Was mich tröstet, ist das Wissen, dass er bei Jesus ist, dass es ihm dort gut geht und dass wir uns eines Tages wiedersehen werden.
Gibt es etwas, das Sie anderen Eltern, die vor einer ähnlichen Entscheidung stehen, mit auf den Weg geben möchten?
Ich würde ihnen raten, sich Zeit zu nehmen. Kurz nach einer Diagnose ist man oft nicht in der Lage, klare Entscheidungen zu treffen. Sucht euch gute Berater und Menschen, die wirklich an euch interessiert sind und euch nicht nur ihre Meinung aufzwingen wollen. Versucht, die Perspektive eures Kindes einzunehmen. Sprecht mit Menschen, die sich für das Austragen entschieden haben. Seid offen und teilt die Diagnose, und distanziert euch von Menschen, die euch nicht guttun. Wir haben nicht das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden.