Wie in allen Familien gab es in der Familie meines Vaters Streit. Das Motto meiner tiefgläubigen Grossmutter war: «Wir streiten nicht, wir wahren den Frieden.» Meine Mutter hingegen sprach Konflikte offen an. Ich bin mit unterschiedlichen Streitkulturen aufgewachsen. Als Mediatorin weiss ich: Es geht nicht nur darum, Streit zu lösen, sondern dass Menschen zueinander in Beziehung treten, sodass Veränderung möglich wird.

 

Als ich mit 19 Jahren nach Marokko reiste, wusste ich nicht, wie sehr mich die interreligiösen und interkulturellen Begegnungen prägen sollten. Unterschiedliche Menschen Asiens lernte ich kennen, als ich für die Stiftung Heilsarmee in der Entwicklungszusammenarbeit tätig war. Dann übernahm ich die Verantwortung für ein Programm, welches für das Aussendepartement des Bundes EDA Dialogprozesse mit religiös-politischen Akteuren im Ausland führte. So lernte ich die internationale politische Friedensarbeit kennen. Die Zeit war prägend. Ich sass mit radikalen Mönchen Südthailands zusammen, entwickelte mit Ordensschwestern in Tschad Projekte und tauschte mich mit Salafisten über die Zukunft des Sahels aus. Während diesen Jahren entwickelte sich das Bedürfnis, mir die Grundhaltung der Mediatorin bewusst anzueignen.

 

Auf den Umgang kommt es an

Mediation zielt darauf ab, Konflikte in der Familie, zwischen Nachbarn, in der Gemeinde oder in der Gesellschaft mithilfe geeigneter Methoden in gewaltfreie Interaktionen umzuwandeln. Inspiration finde ich beim Mennoniten und Mediator Jean Paul Lederach. Wie er nenne auch ich mein Handwerk am liebsten Konflikttransformation. Transformation heisst umwandeln, umgestalten, verändern. Es geht nicht (nur) um das Lösen von Streit, sondern darum, eine Grundlage für Veränderung zu schaffen.

 

Der Kern der Mediation ist für mich, dafür zu sorgen, dass die Menschen zueinander in Dialog und in Beziehung treten und bleiben können. Eine Haltung, die der Streitkultur nützlich ist, könnte so lauten: «Ich bin nicht mit dir einverstanden. In der Sache bin ich anderer Meinung. Trotzdem gehe ich freundlich und wertschätzend mit dir um. Als Mensch hast du von Gott eine angeborene Würde erhalten. Ganz egal, welche Meinung du hast. Nun möchte ich verstehen, wie du zu deiner Haltung kommst.»

 

Dafür ist es wichtig zu akzeptieren, dass Konflikte normal sind, dass wir damit umgehen und wachsen können. Im Zusammenleben mit anderen Menschen sind Konflikte unvermeidlich, weil wir verschiedene Interessen haben, weil ökonomische Zwänge da sind, weil wir vielfältig denken, weil wir nicht gut kommunizieren. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Kehren wir den Streit unter den Teppich, weil es sich «in einer Gemeinde nicht ziemt, zu streiten», wie meine Grossmutter? Oder kämpfen wir weiter, bis unsere Gegner aufgeben und weggehen, weil «wir recht haben»? Oder einigen wir uns, in einem sicheren Rahmen unseren Streit auszutragen?

 

Als Mediatorin lernt man nie aus, da jeder Mensch, jeder Kontext anders ist. Dabei können Kreativität und Tradition, andere Menschen und der Glaube kraftvolle Ressourcen sein. Als Mediatorin amte ich nicht als Schiedsrichterin, sondern weiss, dass echte Veränderung durch den Zusammenprall unterschiedlicher Welten entsteht. Diesem Prozess mit einem Kompass und einem Lächeln offen zu begegnen, ist meine Haltung.

 

Autorin: Anaël Jambers