Evelyne Baumberger (1983), ehemals Journalistin (u. a. bei Radio Life Channel), studiert Theologie in Zürich und Bern. Als Teammitglied der reformierten Digitalplattform «RefLab» tritt sie mittels Blog und Videos in Dialog über Glauben im 21. Jahrhundert.

Wenn wir einander nicht verletzen oder Menschen ausschliessen wollen, sollten wir uns dem Thema geschlechtergerechte Sprache stellen, so Evelyne Baumberger, die seit fünf Jahren Theologie studiert und für die reformierte Digitalplattform «RefLab» arbeitet. Ausserdem verrät sie, weshalb sie trotz feministischer Prägung nichts von der Anrede «Jesa Christa» hält.

 

Evelyne Baumberger, was ist eigentlich unser Problem mit der geschlechtergerechten Sprache?

Das erste Problem ist das der Umgewöhnung. Die ist immer etwas anstrengend. Man muss trainieren, andere Formulierungen einzusetzen. Ähnlich, wie als es darum ging, nicht mehr «Fräulein» zu sagen. Das zweite mögliche Problem hat eine tiefere Wurzel: Ich kenne auch Christinnen und Christen, für die das Problem mit dem Gender-Stern die damit zusammenhängende sprachliche Anerkennung von non-binären, trans- oder intersexuellen Menschen ist.

 

Exkurs: Ist das «Fräulein» eigentlich weg?

Ich höre es nicht mehr. Vielleicht ein Generationenthema? Aber das Bild hinter dem «Fräulein» ist durchaus noch da, nämlich dort, wo unverheiratete Frauen als nicht ganz vollwertig angeschaut werden.

 

Wieso sind wir im Umgang mit der Gendersprache so aufgeregt?

Wir leben in einer Zeit, in der gesellschaftlich vieles im Umbruch ist. Gerade, was Geschlechterrollen und Geschlechterbilder angeht. Für viele wird damit Gerechtigkeit geschaffen, für andere hingegen ist es eine Überforderung. Auch auf der anderen Seite werden Emotionen frei: Es geht um Verletzungen von betroffenen Menschen.

 

Wie erleben Sie die Debatte um das Gendern?

In meinem Umfeld ist das für die meisten keine grosse Sache und ganz selbstverständlich. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen gendern, man sieht die Vorteile: Dass etwa das sprachliche Repräsentieren von Frauen durchaus Einfluss hat auf die Realität, etwa in der Berufswelt. Da ist Vertrauen in die Wissenschaft vorhanden, in Studien, die diese Effekte belegen. Bei jenen, die gesellschafts-konservativ unterwegs sind, höre ich aber auch, dass man sagt: «Jetzt gibt es also 52 Geschlechter, geht’s noch?» Dort wird die Binarität als völlig natürlich gesehen und auch die Überlegenheit des Mannes ist gottgegeben.

 

Hätten wir derzeit nicht andere Probleme?

Diese Haltung ist für mich «whataboutism». Es geht um Gerechtigkeit, mitten in der aktuellen Realität. Philosophiegeschichtlich war Mensch immer gleich Mann, Frau also Nichtmann, also defizitär definiert. Dies bildet sich im generischen Maskulinum ab. Thomas von Aquin etwa hat geschrieben, die Frau sei ein misslungener Mann. Diese Denke hat jahrtausendelang auch die Theologie geprägt. Das muss aufhören.

 

Gibt es zwischen sogenannt «linksgerichteter» und «rechtsgerichteter» Haltung vielleicht so etwas wie eine Mitte? Wo könnte man sich finden und einen kleinen gemeinsamen Nenner formulieren?

Frauen nur (angeblich) mitzumeinen, aber nicht nennen, geht heute nicht mehr. Wenn einem der Gender-Stern oder -Doppelpunkt übertrieben scheint, kann man in neutraler Form sprechen, etwa von «Mitarbeitenden» oder «Pfarrpersonen», oder indem man mit männlichen und weiblichen Formen abwechselt und spielt. Das ist ein guter Kompromiss.

 

Können Sie als Theologiestudentin Ihre Sicht auf Geschlechtergerechtigkeit in der Theologie in Worte fassen?

Gesellschaft und Theologie lassen sich aus meiner Sicht nicht trennen, gesellschaftliche Fragen bilden sich in der Bibel ab, so etwa patriarchale Strukturen. Für mich spielt deswegen die feministische Theologie eine wichtige Rolle. Damit wird ein blinder Fleck aufgearbeitet, sprachlich, aber auch in der Forschung. Mir ist aber wichtig, zu sagen, dass sich Verhältnisse nicht einfach 1:1 umkehren sollen. Meine Generation definiert Feminismus so, dass es um Gerechtigkeit für alle Menschen geht, also auch um soziale Gerechtigkeit, «racial justice», die Bekämpfung von Diskriminierung von Menschen mit einer Behinderung, Gewalt, bei der auch Männer Opfer sind etc.

 

Welche Veränderungen gibt es in der Theologie?

Die Bibel und die Kirchengeschichte bis ins 20. Jahrhundert sind männerdominiert. Frauen waren aber immer dabei. So belegen archäologische Funde von Inschriften immer wieder, dass es durchaus einflussreiche Frauen in der Kirche gab. Deren Leben und Zeugnis wird heute vermehrt erforscht.

 

Was ist denn das, Geschlecht? Ist Gott übergeschlechtlich?

Ja. In Hosea 11,9 heisst es etwa: «Ich bin Gott und kein Mann.» Ebenso könnte da auch stehen: «Ich bin Gott und keine Frau.» Wir können Gott nicht auf ein Geschlecht festlegen. Das Geschlechtliche ist Teil des Menschseins als Geschöpf, wir sind vielfältig und einander so Gegenüber. In Genesis 1,27 lesen wir: «Als männlich und weiblich schuf er sie» – übrigens mit Adjektiven, nicht Nomen. Man kann das also auch als Ausdruck eines Spektrums lesen. Das Geschlecht ist aber nicht heilsrelevant, wie im Neuen Testament etwa in Galater 3,28 betont wird.

 

Was halten Sie von der Anrede Jesa Christa?

Wenn mir die Inkarnation etwas bedeutet, komme ich nicht darum herum, anzuerkennen, dass Jesus ein Mann war. Insofern kann ich mit «Jesa Christa» nichts anfangen. Wenn Jesus heute kommen würde, wäre er vielleicht eine Frau, wer weiss.

 

Viele fürchten, dass ein völliges Chaos und grosse Unsicherheiten entstehen werden, wenn wir das Konzept von Mann und Frau verlassen…

Inklusion bringt kein Chaos, ist aber, wie schon erwähnt, eine Frage der Umgewöhnung. Ängste kommen auch auf, wenn Menschen Privilegien zugunsten von Gerechtigkeit abgeben müssen.

 

Zum Schluss: Was heisst es für Sie, Frau zu sein?

Ich finde es toll, eine Frau zu sein! Für meine eigene Identität spielt das eine grosse Rolle. Mit allen Vor- und Nachteilen. Ich kann mir zum Beispiel erlauben, im Zug zu weinen, weil solche Emotionen bei Frauen traditionell akzeptierter sind. Umgekehrt erlebe ich als Frau Diskriminierung, die bei Männern nicht oder anders zu Buche schlägt. Geschlecht ist aber vielfältiger als die zwei Kategorien. Da stellt sich für mich die Frage, ob wir als Christinnen und Christen inklusiv sein und uns Mühe geben wollen: Wen schliessen wir mit unserer Sprache aus? Wen verletzen wir? Was ist im Sinne eines zeitgemässen Christentums?

 

Das Gespräch führte Dorothea Gebauer.