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Fokus Artikel

Unterwegs zu einer inklusiven Kirche

1. Januar 2025 by

Dass Inklusion ein Thema der Theologie und Kirche ist, bedeutet nicht, dass Kirchgemeinden automatisch inklusiv sind. Welche Herausforderungen gibt es auf dem Weg zu einer inklusiveren christlichen Gemeinschaft? Wie kann eine Kirche praktisch so gestaltet werden, dass Menschen mit Behinderung und anderen anspruchsvollen Lebensumständen dazugehören und teilhaben können?

 

Zu Inklusion und inklusiver Kirche wird heute auch in der Schweiz wissenschaftlich geforscht.[1] Inzwischen kennen wir einige Barrieren beziehungsweise Hindernisse, welche die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und anderen Einzelpersonen und Gruppen erschweren und schlimmstenfalls verhindern. Barrieren gilt es zu beseitigen, Hindernisse müssen überwunden werden.

 

Barrieren und Hindernisse

Zu den offensichtlichsten Hindernissen einer inklusiven Kirche zählen zum Beispiel architektonische oder technische Probleme wie fehlende Rampen bei Gebäudeeingängen oder Höranlagen. Fehlende Rampen sind nicht nur für Menschen im Rollstuhl ein Hindernis, sondern auch für Kinderwagen oder Menschen mit Rollatoren und dergleichen. Auch soziale Barrieren wie zum Beispiel Vorbehalte und Ängste gegenüber Menschen mit scheinbar unkonventionellen Lebensentwürfen hindern Kirchen daran, inklusiver zu werden. Ganz praktisch fordern die erschwerte oder unmögliche Teilhabe am kirchlichen Alltag und seinen Aktivitäten sowie einseitige theologische Überzeugungen eine inklusivere Gestaltung des kirchlichen Lebens heraus.[2]

 

Förderfaktoren und Massnahmen

Umgekehrt fördern eine empathische, einfühlsame Gemeindekultur und Atmosphäre, in der viel Offenheit für die Verschiedenheit lebt, dass eine Kirchgemeinde inklusiver wird. Um das zu erreichen, müssen Kirchen und ihre Mitglieder häufig ihre eigene Haltung und theologischen Überzeugungen überdenken und wo nötig überarbeiten. Mut, Vertrauen, Wille, Bereitschaft, Ausdauer und eine gewisse Flexibilität und Kreativität von allen Beteiligten sind weitere wichtige Faktoren, um die vielfältigen Barrieren zu beseitigen und Hindernisse zu überwinden. Menschen, die von Benachteiligung und Ausgrenzung gefährdet sind, müssen ihre Bedürfnisse auch offen mitteilen. Sie sollten wenn möglich nicht stillschweigend erwarten, dass alle merken, was sie brauchen, um zum Beispiel am Gottesdienst teilnehmen, diesen aktiv mitgestalten oder sonstige Angebote der Kirche nutzen zu können.[3]

 

Es geht bei Inklusion zusammengefasst um ein Miteinander und nicht nur um ein Füreinander. Miteinander zu feiern und Gottesdienste und andere Anlässe möglichst gemeinsam zu gestalten und viele aktiv daran teilhaben zu lassen, lautet das richtungsweisende Ziel. Wie sieht diesbezüglich die heutige kirchliche Praxis aus? Dazu lässt sich trotz zahlreicher Erfahrungswerte aufgrund der dürftigen Datenlage wenig Abschliessendes sagen. Kurz: Man bemüht sich, hat aber in der Regel viel Weg vor sich.

 

Separat statt inklusiv

Traditionellerweise und am längsten bemühen sich Kirchen im Hinblick auf einen stärkeren Einbezug von Menschen mit Behinderung in Gottesdiensten, kirchlicher Unterweisung und Seelsorge. Da und dort werden sogenannte «inklusive Gottesdienste» angeboten. Erfahrungsgemäss werden diese häufig von Menschen mit Behinderung besucht und von Personen ohne offensichtliche Schädigungen organisiert und geleitet. Darüber hinaus bemüht man sich, die kirchliche Bildung auf Menschen mit Behinderung hin auszurichten. Dazu zählen auch die Angebote des heilpädagogischen Religionsunterrichts. Weiter existieren diverse kirchliche Angebote, um Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen angepasste seelsorgerliche Unterstützung zu bieten, zum Beispiel durch Fachstellen und Spezialpfarrämter für Behindertenseelsorge. Zudem gibt es inklusive sozial-diakonische Wohn- und Lerngemeinschaften oder inklusive kirchliche Freizeitangebote, zum Beispiel vom Verein Glaube und Behinderung.

 

Auffällig ist, dass vor allem separate beziehungsweise separierende Angebote für Menschen mit Behinderung existieren und wenige solche, die bewusst auf eine bessere Teilhabe und Mitgestaltung von Menschen mit Behinderung an kirchlichen Veranstaltungen und Projekten generell abzielen. Genau das wäre aber angesichts der Grundlagen einer inklusiven Kirche vor allem nötig. Eine Kirchgemeinde zu werden, in der sich möglichst viele Menschen beteiligen können, freiwillig und im Rahmen ihrer Möglichkeiten, bedeutet, bewusst miteinander unterwegs zu sein. Dies im Wissen, dass Fehler dazugehören und es fortlaufend dazuzulernen gibt.

 

[1] vgl. z.B. die Studie des Sozialwerks der Heilsarmee Schweiz: Dazugehören – Dokumentation einer empirischen Erhebung an ausgewählten Standorten und Korps in der Schweiz. Summary des Schlussberichts, 2018, abrufbar unter: https://tinyurl.com/yc2c8ayc (25.9.2024).

[2] vgl. Merz, Oliver: Vielfalt in der Kirche? Der schwere Weg der Inklusion von Menschen mit Behinderung im Pfarrberuf. Interdisziplinäre und theologische Studien. Band 1, 2017, LIT, 171, 184-185.

[3] vgl. Merz, 2017, 171, 175-178, 186.

Schritt für Schritt zur inklusiveren Gemeinschaft

Um einzelne Personen und Gruppen in Kirchen zu inkludieren oder kirchliche Angebote und die ganze Gemeinde insgesamt inklusiver zu gestalten, können die vier Phasen des Inklusionskonzepts nach Merz dienen. Das Beispiel bezieht sich auf die Anstellung eines neuen Mitarbeitenden mit einer Behinderung.

Phase 1

Ziel / Zielgruppe definieren

Aufgaben

Team bilden, Rahmenbedingungen setzen

Beispiel

Beidseitige Ausgangslage und Bedürfnisse erörtern

Phase 2

Herausforderungen benennen

Aufgaben

Barrieren und Hindernisse ausfindig machen, Zielgruppe(n) einbeziehen

Beispiel

Beidseits zu erwartende Herausforderungen benennen und besprechen

Phase 3

Überzeugungen überdenken

Aufgaben

Werte reflektieren und überarbeiten inklusive Kultur etablieren

Beispiel

In der Kirche vorherrschende Überzeugungen bspw. zu Heilung, Krankheit, Behinderung ansprechen und aufarbeiten

Phase 4

Massnahmen erarbeiten, umsetzen, überprüfen

Aufgaben

Aktionsplan erstellen, Evaluierung planen und durchführen

Beispiel

Geeignete Massnahmen für die erfolgreiche Inklusion des Mitarbeitenden erarbeiten und umsetzen

Abbildung in Anlehnung an das Inklusionskonzept nach Merz (Version 2023). Das ursprüngliche Konzept findet sich bei Merz, 2017, 175.

Auf der Grundlage der heutigen Erkenntnisse aus Theorie und Praxis lassen sich zudem Schritte ableiten, um Inklusion praktisch umzusetzen. Der folgende 10-Punkte-Plan kann dafür eine Orientierungshilfe sein – anstelle oder in Ergänzung des Inklusionskonzepts. Die Aufzählung ist nicht abschliessend, sie kann nach Gutdünken an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten angepasst und erweitert werden:

 

1. Betroffenheit schaffen und sensibilisieren
2. Werte und Überzeugungen gewinnen
3. Barrieren und Hindernisse entdecken sowie Herausforderungen benennen
4. Chancen und Förderfaktoren ausloten
5. Risiken eruieren
6. Massnahmen erarbeiten und Meilensteine definieren
7. Die Umsetzung beginnen
8. Etappen feiern
9. Strukturiert evaluieren
10. Am Ideal nicht zerbrechen, verheissungsorientiert leben und Unveränderliches aushalten

Oliver Merz ist promovierter Theologe, Gründer und Leiter des Instituts Inklusiv (www.institutinklusiv.ch) sowie Seelsorger in der Beratungsstelle Sela (www.sela.ch). Zudem wirkt er als Gastdozent, Referent und Autor. Er wohnt mit seiner Familie in Thun. www.oliver-merz.ch.

Die zweite Meile steht an

18. Dezember 2024 by

Menschen mit Behinderung fordern mit der Inklusions-Initiative die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung. Was heisst das? Haben wir das nicht bereits? Und was bedeutet dies für die Kirchen?

 

In der Schweiz leben gemäss Bundesamt für Statistik 1,8 Millionen Menschen mit Behinderung. Sie wollen diejenigen Möglichkeiten haben, die für Menschen ohne Behinderung selbstverständlich sind: Zur Schule gehen, eine Ausbildung machen, einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Familie gründen und in der eigenen Wohnung leben, wählen und abstimmen, Freiwilligenarbeit leisten, am Kirchenleben teilhaben. All das ist in der Schweiz für Menschen mit Behinderung nicht selbstverständlich. Zwar gibt es Gesetze, die Gleichstellung ermöglichen sollen. Sie gehen aber zu wenig weit, decken nicht alle Lebensbereiche ab oder werden in der Praxis nicht umgesetzt.

 

Kirchen: Dienstleistungen in öffentlich zugänglichen Bauten

Seit 2004 soll das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen verhindern, verringern oder beseitigen: Öffentlich zugängliche Bauten und Anlagen – da gehören auch Kirchen dazu – müssen barrierefrei sein, aber nur solche, die nach 2004 neu gebaut oder umfassend erneuert wurden. Dasselbe gilt für Wohngebäude, aber erst ab neun Wohneinheiten, oder für Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen. Wer Dienstleistungen anbietet – auch kirchliche Angebote –, darf Menschen mit Behinderung nicht diskriminieren. Wer es dennoch tut, kann sich mit dem Bezahlen von 5000 Franken freikaufen. Das BehiG gilt für Arbeitsverhältnisse des Bundes. Für alle anderen Arbeitsverhältnisse gilt es nicht. Der öffentliche Verkehr sollte nach einer Umsetzungsfrist von 20 Jahren barrierefrei zugänglich sein. Noch sind es über 500 Bahnhöfe nicht.

 

Wie sieht es bei der sozialen Sicherheit aus? Wer eine behinderungsbedingte Erwerbseinbusse von mindestens 40 Prozent hat, hat Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung (IV) und Ergänzungsleistung. Letztere ist eine Bedarfsleistung und wird bei Heirat häufig gekürzt, weil die Einkommen der Eheleute zusammengezählt werden. Wer keine anerkannte Diagnose oder weniger als 40 Prozent Erwerbseinbusse hat, erhält keine IV-Rente. Wer Unterstützung im Alltag oder bei der Arbeit braucht, bekommt diese fast nur in oder von Institutionen. Wollen Menschen mit Behinderung mit persönlicher Assistenz in der eigenen Wohnung leben, so ist das nur mit grossem, administrativem Aufwand möglich.

 

Von Fürsorge zu Grundrechten

In der Schweiz gilt seit 2014 die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie formuliert die allgemeinen anerkannten Grundrechte wie Recht auf Leben, Freiheit, Familie usw. für Menschen mit Behinderung. Anders als in anderen europäischen Ländern existiert in der Schweiz aber keine Strategie für die Umsetzung. Menschen mit Behinderung werden hier oft in Parallelstrukturen wie Sonderschulen, Heimen und geschützten Werkstätten versorgt und fehlen in der Gesellschaft.

Damit Menschen mit Behinderung nicht weiter marginalisiert werden und Inklusion gelingt, müssen wir die zweite Meile gehen. Die Inklusions-Initiative weist den Weg.

Simone Leuenberger ist Behindertenrechtlerin, Gymnasiallehrerin und EVP-Grossrätin im Kanton Bern. Sie ist im Elektrorollstuhl unterwegs. www.simoneleuenberger.ch

Gottes Plan im Ungewissen: Zwischen Hoffnung und Akzeptanz

11. Dezember 2024 by

«Es ist grundsätzlich Gottes Wille, dass es allen Menschen auf der Erde gut geht», sagt Andreas Straubhaar, der selbst Heilung erfahren hat und nun im Gebet für andere eintritt. Im Gegensatz dazu ist Roland Hardmeier seit 24 Jahren chronisch krank und hat bisher keine Heilung erlebt. Wie er trotz seiner Krankheit fest im Glauben bleibt und wie Straubhaar diese Situation betrachtet, erzählen die beiden im Interview.

 

Was bedeutet Heilung für Sie?

Andreas Straubhaar: Heilung kann auf vielfältige Weise geschehen – einige Menschen erleben Heilung sofort und andere im Laufe der Zeit. Ich glaube, dass Heilung jedem Menschen möglich ist, denn es ist Gottes Wille, dass es allen ganzheitlich gut geht. Dieser Glaube ist das Fundament meiner Arbeit und ich betone das bei jeder Gelegenheit.

Roland Hardmeier: Verkündigung und Heilung gehören zusammen, aber man kann niemandem versprechen, dass Gott ihn heilt, denn wir kennen den individuellen Willen Gottes nicht. Die entscheidende Frage ist, wie man damit umgeht, wenn keine Heilung eintritt. Ich habe in den ersten Jahren intensiv für meine Heilung gebetet, aber irgendwann konnte ich nicht mehr in dieser ständigen Erwartung leben. Gott hat mir in dieser Zeit Frieden über meine Krankheit geschenkt, auch wenn ich weiterhin in einem gesunden Mass für Heilung bete.

 

Wie hat bei Ihnen, Andreas Straubhaar, Heilung stattgefunden?

Als ich in sehr jungen Jahren in eine Drogenabhängigkeit geriet, entschieden sich meine Eltern für Jesus. Zwar war ich mit der Kirche vertraut und bekam immer wieder Impulse, aber ich stand dem Glauben sehr ablehnend gegenüber. Zu Beginn des Jahres 1999 erhielt ich einen Bibelvers, den ich zunächst widerwillig annahm. Doch als ich die Worte «Fürchte dich nicht, ich bin mit dir» las, spürte ich, dass Gott in diesem Moment zu mir sprach. Dieses lebendige Wort hatte eine so starke Wirkung, dass ich innerlich zusammenbrach. Von da an wurde ich innerhalb von wenigen Tagen vollständig von meiner Depression und meiner Sucht geheilt und es blieben keine bleibenden Schäden zurück.

 

Wie kam es dazu, dass Sie eine Heilungspraxis gründeten?

Nach meiner ganzheitlichen Heilungserfahrung mit Gott begann ich, für kranke Menschen zu beten. Schon lange verspürte ich den Wunsch, anderen von Jesus zu erzählen, und wollte, dass auch sie ihn kennenlernen. Ein Bekannter lud mich zu evangelistischen Heilungsveranstaltungen ein und ich erkannte, dass auch ich eine Verantwortung trage. Die Veränderung, die ich selbst erlebt hatte, wollte ich unbedingt weitergeben, denn ich bin überzeugt, dass niemand auf dieser Welt krank sein sollte.

 

Wie können Sie, Roland Hardmeier, mit Ihrer Krankheit eine Ermutigung für Ihre Mitmenschen sein?

Wenn man keine Heilung erfährt, besteht die Gefahr, dass man ins Selbstmitleid fällt. Es tauchen Fragen auf wie: Bete ich zu wenig? Habe ich zu viel Schuld? Wenn ich predige und meine Geschichte teile, kann ich andere Menschen inspirieren und ermutigen, die im gleichen Boot sitzen. Es gab schon Situationen, da kamen Betroffene nach der Predigt zu mir und haben mich umarmt. Sie sagten mir, dass sie sich endlich verstanden fühlen. Dies zeigt mir, dass ich mit meiner Geschichte Leidende ermutigen kann.

 

Haben Sie schon Heilungen bei anderen Menschen miterlebt?

AS: In meiner Praxis und an Veranstaltungen erlebe ich regelmässig Heilungen. Einmal habe ich für eine Frau gebetet, die seit 30 Jahren starke Fussschmerzen hatte. Sie glaubte, dass diese Krankheit ein Teil ihres Lebens sei und Gott ihr dies auferlegt habe. Nachdem ich ihr Mut zugesprochen hatte, dass auch sie geheilt werden könne, wurde sie augenblicklich gesund.

RH: Trotz meiner Krankheit bete ich für andere. Meine Frau und ich haben einmal für ein kinderloses Ehepaar gebetet. Ich hatte plötzlich den Eindruck, dass ich ihnen Kinder zusprechen sollte. Heute haben sie vier Kinder, was für mich ein klares Zeichen von Gottes Wirken ist. Dennoch denke ich nicht, dass ich die Gabe der Heilung habe – das war ein Einzelfall.

 

Was sagen Sie zur Aussage: «Wenn man nur genug glaubt und betet, wird man geheilt.»?

AS: Ein gewisser Glaube ist notwendig, um Heilung zu erfahren. In der Bibel steht, dass der Glaube so gross wie ein Senfkorn sein muss, um Berge zu versetzen. Es reicht schon, wenn man nicht aufhört, für Heilung zu beten – auch wenn das manchmal schwerfällt. Es ist wichtig, nicht in Selbstmitleid zu versinken und an der Hoffnung festzuhalten.

RH: Die Aussage «genug beten und glauben führt zu Heilung» kann ich nicht unterschreiben. Wichtig ist, dass man eine persönliche Antwort auf seine Situation erhält, um Frieden zu erlangen. Auch wenn ich Gottes Stimme selten höre, habe ich in meinen schweren Zeiten Ermutigungen erhalten, die mir Frieden gebracht haben. Vor 20 Jahren habe ich von Gott den Satz empfangen: «Alles, was ich in meinem Leben nach Gottes Willen tun soll, werde ich tun können.» Dieser Satz gilt für mich heute noch und ermutigt mich.

 

Wie leben Sie mit der Spannung und Ungewissheit, ob Gott heilt oder nicht?

AS: Ich habe den Auftrag, für Heilung zu beten, und lasse mich von dieser Unsicherheit nicht entmutigen. Auch wenn manche Menschen noch keine Heilung erfahren haben, sollten sie die Hoffnung nicht aufgeben. Spätestens im Himmel wird alles Leid vorbei sein.

RH: Wenn wir eine Theologie der Heilung haben, brauchen wir auch eine Theologie des Leidens. In meinem Buch «Du bist da in meinem Schmerz» versuche ich, eine solche zu bieten. Ich habe gelernt, dass Gottes Verborgenheit nicht dasselbe ist wie seine Abwesenheit. Gott ist verborgen, aber er ist niemals ein Gott, der nicht da ist.

Das Gespräch führte Jaël Schultze. Sie ist Praktikantin Medien und Kommunikation bei der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.

Inklusion ist ein ureigenes Thema der Christenheit

4. Dezember 2024 by

Inklusion ist nicht nur ein gesellschaftliches Thema, sondern auch eines innerhalb der Theologie und Kirche. Auch wenn wir in den biblischen Texten noch kein ausgereiftes Verständnis von Inklusion im heutigen Sinn finden, sind die Bezüge augenfällig. Wie lässt sich Inklusion theologisch begründen? Was folgt daraus für das Gottes- und Menschenbild sowie die Vorstellung von christlicher Gemeinschaft und Kirche?

 

Inklusion wird einerseits als Herausforderung und Anfrage «von aussen»[1], von der Gesellschaft an Theologie und Kirche herangetragen. Inklusion lässt sich aber nicht nur als moderne gesellschaftliche Forderung begreifen, sondern auch als «ureigenes Thema»[2] der Christenheit, Theologie und Kirche. Selbstverständlich kennt die biblische Tradition noch kein ausgereiftes Konzept von Inklusion und menschenrechtsbasiertem Umgang mit Vielfalt und Verschiedenheit im heutigen Sinn. Nicht verschwiegen werden darf weiter, dass es in Theologie und Kirche ausgrenzende Tendenzen und Begründungszusammenhänge gab, die teilweise bis heute nicht aufgearbeitet sind und/oder undifferenziert überdauern. Inklusion fordert Theologie und Kirche demnach gleichermassen von innen heraus, Vorannahmen und Haltungen bzw. Bibelverständnisse und die daraus abgeleiteten theologischen und praktisch-kirchlichen Schlussfolgerungen zu reflektieren.

 

Gott ist inklusiv

Inklusion lässt sich theologisch bereits von der Dreieinigkeit Gottes her andenken, und zwar an der geheimnisvollen Einheit in Verschiedenheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist.[3] Der deutsche Theologe und Inklusionsexperte Ulf Liedke beschreibt es so: «Gott existiert in der wechselseitigen Beziehung seiner drei Seinsweisen so, dass sich Vater, Sohn und Heiliger Geist in der Verschiedenheit gegenüberstehen und zugleich eine Gemeinschaft bilden. Im trinitarischen Sein Gottes ist Exklusion ausgeschlossen.»[4] Schon im Alten Testament steht Gott selbst auf der Seite der Ausgegrenzten und Schwachen und stellt sich gegen die Ungerechtigkeit.[5]

 

Entsprechend äussert sich das eschatologische Heil Gottes in der gesamtbiblischen Betrachtung insbesondere in Form von wiederhergestellter universaler Gerechtigkeit sowie der endgültigen Beseitigung allen Leids und des Todes.[6] In der Person Jesus unterstreicht Gott seine «inklusive Mission». Er sucht, was oder wer verloren ist, und bezieht sie oder ihn wieder in die Gemeinschaft mit ihm ein. Jesus hat Reinheitsgebote und andere religiöse Vorschriften übertreten bzw. deren pointierte Interpretation missachtet, um besonders verletzliche, stigmatisierte, benachteiligte und ausgegrenzte Personen in die Gemeinschaft mit Gott einzuladen.

 

Der Mensch ist inklusiv

Auch der Mensch wird bereits in biblischen Texten inklusiv gedacht. So verschieden die Menschen sind, tragen doch alle Gottes Ebenbild in sich und sind zur Gemeinschaft mit ihrem Schöpfer und den anderen Geschöpfen bestimmt.[7] Alle Menschen sind in ihrer Verschiedenheit einzigartig, voraussetzungslos von Gott geliebt, gleichwertig und gleichberechtigt.

 

Mit solchen allgemeinen Aussagen zur Würde und Gleichwertigkeit aller Menschen lassen sich beispielsweise körperliche oder seelische Grenzen und damit auch Menschen mit Beeinträchtigung theologisch grundsätzlich als Ausdruck der generellen menschlichen Vielfalt und irdischen Realität verstehen.

 

Eine einseitige Glorifizierung des menschlichen Leidens und insbesondere desjenigen der Christen («Leidenstheologie») ist in diesem Licht kritisch zu reflektieren und entsprechend zu differenzieren. Dasselbe gilt für verengte Heilungslehren, die Leiden, Krankheit, Beeinträchtigung nur defizitär und aufgrund einer stark spiritualisierten Argumentation als Mangel geistlicher Reife oder gar als Strafe Gottes für persönliche Sünde und Fehlverhalten deuten. Diese begreifen rasche und vollständige Überwindung der Umstände als die einzig richtige Lösung für Christen und suchen bei ausbleibender Heilung die Ursache vor allem im fehlenden Gottesglauben und dergleichen.

 

Die Gemeinschaft der Gläubigen ist inklusiv

Es erstaunt aufgrund des bisher Gesagten nicht, dass auch das Miteinander der Christen in der Kirche und die christliche Gemeinschaft (griechisch «Koinonia») mit pointiert inklusiven Worten beschrieben werden. Besonders deutlich wird dies beim bildhaften Vergleich des Apostels Paulus zwischen der Funktionsweise des menschlichen Körpers und der Gemeinschaft der Christen: « (…) vielmehr soll es das gemeinsame Anliegen aller Teile sein, füreinander zu sorgen. Wenn ein Teil des Körpers leidet, leiden alle anderen mit, und wenn ein Teil geehrt wird, ist das auch für alle anderen ein Anlass zur Freude.»[8]

 

Dass Menschen grundsätzlich verschieden sind, ist theologisch betrachtet eine gegebene und sinnvolle, bereichernde und mitunter nötige Ergänzung, auch wenn das Miteinander dadurch herausgefordert werden kann.[9] Christliche Gemeinschaft ist demnach als dynamische Einheit in aller Vielfalt und Verschiedenheit ihrer einzelnen Glieder zu verstehen.

 

Dass sich Gott den Menschen in Jesus barmherzig und liebevoll zuwendet, sie bedingungslos annimmt und sich ganzheitlich um ihr Wohl kümmert, ist für den christlichen Lebensstil richtungsweisend. Auf dieser Grundlage waren bereits die ersten Christen innerhalb und ausserhalb ihrer Gemeinschaften auf einen gerechten materiellen Ausgleich und barmherzige Solidarität bedacht.[10] Doch schon in biblischer Zeitrechnung war diese vielfältige Koinonia verschiedentlich herausgefordert und gefährdet, zum Beispiel durch fehlende Rücksichtnahme, ausufernden Egoismus oder mangelnde Integrität.[11]

 

Einige der gesellschaftlich etablierten Modelle zu Inklusion erscheinen theologisch stimmig und kirchlich anschlussfähig. Neben der Vorstellung einer auf das Wohl ihre Mitglieder bedachten Gemeinschaft zählen beispielsweise «Empowerment» (Ermächtigung, Befähigung) oder «Enabling Community» (befähigende Gemeinschaft) dazu. Zu Recht nehmen Kirchen an diesen Errungenschaften Anleihen für die kirchliche und sozialdiakonische Praxis.

 

Dieser Beitrag ist ein überarbeiteter Auszug aus dem Konzept zum Lehrmittelprojekt «Zmitztdrin» (www.zmitztdrin.ch) des Vereins «Glaube und Behinderung» (www.gub.ch) und des Instituts Inklusiv (www.institutinklusiv.ch), 2022, 7-11.

[1] Schweiker, Wolfhard: Aktuelle Herausforderung für Theologie und Kirche: Inklusion. Deutsches Pfarrerblatt 6/2011, 2.

[2] Schweiker, 2011, 2.

[3] vgl. Mt 28,19.

[4] Liedke, Ulf: Inklusion in theologischer Perspektive, in Liedke, Ulf / Kunz, Ralph (Hrsg.): Handbuch Inklusion in der Kirchengemeinde. 2013, Vandenhoeck & Ruprecht, 34.

[5] vgl. z.B. Ps 109,31; 3 Mose 19,14.

[6] vgl. Offb 21,4.

[7] vgl. 1 Mose 1, 26-27.

[8] 1 Kor 12,12.25-26.

[9] vgl. 1 Kor 12,12-27; Eph 4,7-16.

[10] vgl. Apg 2,44-45.

[11] vgl. Apg 5,1-11; Röm 14,1-23; 1 Kor 11,17-34.

Oliver Merz ist promovierter Theologe, Gründer und Leiter des Institut Inklusiv (www.institutinklusiv.ch) sowie Seelsorger in der Beratungsstelle Sela (www.sela.ch). Zudem wirkt er als Gastdozent, Referent und Autor. Er wohnt mit seiner Familie in Thun. www.oliver-merz.ch.

Weg vom Marlboro-Image

2. Oktober 2024 by

Erinnern Sie sich noch an die Marlboro-Fernsehwerbung? Ein braungebrannter Cowboy reitet in den Sonnenuntergang. Die Wildwest-Zigarettenwerbung verspricht Freiheit und Abenteuer, liefert aber vor allem Lungenkrebs. 

 

Kirchen haben heute in etwa das Image von Marlboro. Da werde liebevolle Zuwendung und werthaltige Erziehung versprochen, aber geliefert werde ein toxisches Gemisch von dogmatischer Enge, reaktionären Rollenbildern und einer stark erhörten Gefahr von Übergriffen, so die öffentliche Meinung. Und so werden christliche Angebote, die sich an Kinder und Jugendliche richten, von Medien oder Behörden ab und an mit Warnhinweisen versehen. 

 

Dieses Magazin ist kein Versuch der Imagerettung und auch keine PR-Kampagne für christliche Erziehung. Die Beiträge haben aufgezeigt, dass es so etwas wie die eine christliche Erziehung gar nicht gibt. Es gibt Christen, die sich in Familie, Kirche oder Gesellschaft erzieherisch engagieren. Zwar unterschiedlich, aber ehrlich, fundiert und hoffnungsvoll. Alle drei Aspekte sind mir in dieser Ausgabe begegnet und scheinen mir für eine gelingende Auseinandersetzung mit dem Thema Erziehung relevant. 

 

Ehrlich: Wenn Erziehung in christlichen Familien, Institutionen und Kirchen gelingen soll, dann braucht es die Bereitschaft, hinzuhören und hinzusehen, auch auf die dunklen Schatten der Vergangenheit. Nur dann können Gerechtigkeit und Versöhnung passieren. Und nur dann können wir wirklich einen professionellen, achtsamen, sorgsamen und proaktiven Umgang mit grenzverletzendem Verhalten entwickeln. Im Netzwerk «Gemeinsam gegen Grenzverletzung» üben wir diese Kultur miteinander ein. 

 

Ehrlichkeit bedeutet aber auch, dass wir Räume schaffen, in denen Scheitern in der Erziehung thematisiert werden kann. Dazu braucht es Vorbilder, die nicht nur hohe Ideale predigen, sondern auch Einblicke in ihre Kämpfe und Herausforderungen geben. Darum ist die Arbeit des Forums Ehe + Familie so wichtig. In dieser Arbeitsgemeinschaft sammeln sich Initiativen, die eben auch die Erfahrungen von Scham, Verletzungen oder Scheitern aufgreifen. Kirchen, die gesunden wollen, sollten sich diese Angebote nicht entgehen lassen.  

 

Fundiert: Auch Erziehungsdebatten werden häufig von ideologischen Positionen dominiert. Diese radikalen Pole missachten zweierlei: Erziehungsthemen sind facettenreich und nicht schwarz-weiss. Und in vielen Fragen besteht durchaus eine breite Übereinstimmung. Wir wollen nicht den Polen zusätzliches Futter bieten, sondern vielmehr die fundierten und differenzierten Stimmen stärken, die sich verbindend in die gesellschaftliche Debatte einbringen. So haben sich Fachleute aus dem Allianz-Netzwerk fundiert zum Lehrplan 21, zur Gestaltung christlicher Kinder- und Jugendarbeit oder zum Umgang mit der digitalen Welt geäussert, die vielen Eltern Kopfzerbrechen und Teenies krank macht. 

 

Christinnen und Christen wird ab und an Bildungsfeindlichkeit nachgesagt. Das Gegenteil stimmt: Bildung ist, so zeigt die Ge-Na-Studie eindrücklich, für Christen der mit Abstand wichtigste Fokus im Engagement für nachhaltige Entwicklung.[1] Den Tatbeweis liefern die Beiträge in diesem Magazin und vor allem unzählige christliche Lehrpersonen, die sich tagtäglich für Bildung einsetzen, damit sich junge Menschen fundierte Meinungen bilden können.  

 

Hoffnungsvoll: In der Schweiz ist die Geburtenrate auf ein Allzeittief gefallen: auf 1,33 Kinder pro Frau. Um aber die Elterngeneration zu ersetzen, müsste eine Frau 2,1 Kinder in die Welt setzen.[2] Europa wird in diesem Jahrhundert um 100 Millionen Personen kleiner. Studien zeigen, dass dies nicht bloss an fehlenden ausserfamiliären Betreuungsangeboten liegt. Ein wesentlicher Grund sei die Unsicherheit, was die Zukunft angehe, so die Experten. Und so sind Christinnen und Christen heute schlicht dadurch Hoffnungszeichen, dass sie trotz allen Wolken am Horizont Familien gründen. Die Geburt jedes Kindes ist ein Zeichen der Hoffnung. Verschiedene Autorinnen und Autoren haben aufgezeigt, dass darin die kraftvolle Überzeugung steckt, dass diese Welt auch für dieses Baby schön und lebenswert sein wird – weil sie auch in Zukunft in Gottes Händen liegt.  

 

[1] vgl. https://ge-na-studie.net/ (23.4.2024).

[2] vgl. https://www.nzz.ch/schweiz/schweizer-kriegen-immer-weniger-kinder-der-staat-kann-da-nicht-helfen-ld.1824934 (23.4.2024).

Andi Bachmann-Roth ist Co-Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.

Was junge Erwachsene über ihre eigene Erziehung sagen

25. September 2024 by

Beide studieren an der Höheren Fachschule Theologie, Diakonie, Soziales (TDS) in Aarau, beide sind kirchlich engagiert, beide sind schon als Kind mit dem Glauben in Berührung gekommen. Trotz diesen Gemeinsamkeiten blicken Isabelle Baltensperger und Angela Muhmenthaler unterschiedlich auf ihre Erziehung und ihr Aufwachsen im Elternhaus und der Kirche zurück. Wie – das erzählen sie im Folgenden. 

 

Isabelle Baltensperger: «Es war normal, Gott zu kennen» 

Ich würde sagen, dass ich christlich erzogen worden bin. Meine Eltern haben mir christliche Werte vermittelt. Weil zum Beispiel Vergebung sehr wichtig war, bin ich überhaupt nicht nachtragend und kann anderen gut vergeben. Auch Hilfsbereitschaft und Verständnis für andere hatten einen hohen Stellenwert. Meine Schwester und ich erhielten viel Liebe und Wertschätzung. Wenn ich Mist gebaut hatte, fühlte ich mich trotzdem geliebt. Es war okay, mal eine Regel zu brechen. Ich wurde weder beschimpft noch geschlagen, aber die Mutter zeigte klar die Grenzen auf. Da wusste ich: Es war nicht gut, was ich getan hatte, und machte den gleichen Mist nicht noch einmal – dafür einen anderen (lacht).  

 

Wir sangen zuhause christliche Lieder, beteten als Familie. Ich erinnere mich an eine Kinderbibel mit Bildern verschiedener biblischer Geschichten, die wir häufig anschauten. Zudem besuchte ich von klein an die Sonntagsschule der Kirche. Für mich war es normal, dass die Menschen um mich herum Gott auch kennen. Ich wuchs sehr behütet auf, in einer «heilen Welt». Deshalb bin ich wohl manchmal etwas naiv. Zum Beispiel vertraue ich anderen einfach und rechne überhaupt nicht mit bösen Absichten.  

 

Ich habe als Kind zudem nicht gelernt, kritische Fragen über den Glauben zu stellen. Wir verbrachten als Familie viel Zeit miteinander, aber über den Glauben diskutierten wir nie. In dieser Hinsicht würde ich meine eigenen Kinder dereinst mehr herausfordern, als es meine Eltern getan haben, und sie fragen, was sie denken.  

 

Ich hinterfragte meinen Glauben erstmals überhaupt, als ich am TDS zu studieren begonnen hatte. Da ich bereits ein starkes Glaubensfundament hatte, stürzte mich dies nicht in eine Krise. Ich hatte meinen «Durchhänger» bereits in der Teenager-Zeit. Ich investierte sonst immer viel Herzblut in die Kirche, aber es gab zwei Jahre, da hatte ich keine Lust auf Kirche. Ich besuchte den Konfirmationsunterricht, weil ich musste, und engagierte mich ohne Leidenschaft. 

 

Aktuell muss ich auch sagen: Mein Glaube war schon stärker als heute. Er leidet unter dem Studium und der Tatsache, dass die Arbeit in der Kirche, die ich früher freiwillig gemacht habe, heute mein Beruf ist. Ich finde es mega schwierig, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Wenn ich unter Druck die Bibel studiere, weil eine Prüfung ansteht, oder einen Kindernachmittag vorbereite, weil das nun mal mein Job ist, geht etwas verloren. Doch obwohl ich momentan kaum Zeit habe für mein persönliches Glaubensleben, kaum in die Gottesbeziehung investiere, erlebe ich: Gott ist da, er investiert in mich, öffnet mir Türen.  

 

Bis heute habe ich auch eine sehr gute und entspannte Beziehung zu meinen Eltern. Sie ist sogar noch besser geworden, seit ich ausgezogen bin. Ich kann mit allem nach Hause kommen und über alles reden. Daneben habe ich ein «Mami» in der Kirche: eine Frau, die mich von klein auf kennt und für meinen Glaubensweg prägend war. Sie ist mir ein Vorbild und inzwischen haben wir viele Sommerlager gemeinsam geleitet.  

 

Isabelle Baltensperger, 25 Jahre, studiert an der Höheren Fachschule TDS Aarau im 2. Jahr Sozialdiakonie mit Gemeindeanimation. Parallel zum Teilzeitstudium arbeitet die gelernte Kauffrau in der Kirchgemeinde Frauenfeld. Sie ist von zuhause ausgezogen und lebt in einer eigenen Wohnung.  

 

Angela Muhmenthaler: «Mein Glaubensweg ähnelt einer Achterbahnfahrt» 

Ich komme nicht aus einem christlichen Elternhaus, aber ich habe Gott durch ein Adonia-Lager sehr früh, mit fünf Jahren, kennengelernt. Eigentlich sind meine Mutter und ich nur deshalb hingegangen, weil noch eine Lagerköchin gesucht war und eine Freundin meine Mutter angefragt hatte. Weil sich meine Eltern damals schon hatten scheiden lassen, verbrachte ich viel Zeit bei einer anderen, christlichen Familie. An den Mittwochnachmittagen besuchte ich häufig ein kirchliches Angebot. Und – heute fast nicht mehr vorstellbar – in der 1. und 2. Klasse hatte ich eine Lehrerin, die mit uns christliche Lieder sang. Später hatte ich tolle Religionslehrpersonen. Besonders eine, die heute meine Praxisausbildnerin ist, hat meine Glaubensentwicklung geprägt. Gerade in den Jahren um die Konfirmation hat sich mein Glaube gefestigt. So hatte ich von zuhause aus zwar keine christliche Erziehung, aber sie blieb mir doch nicht verwehrt. 

 

Im Rückblick kann ich sogar sagen, dass ich diesbezüglich einen grossen Einfluss auf meine Mutter hatte; ich habe sie christlich erzogen (lacht). Sie war stets sehr offen, aber hatte keinen grossen Bezug zur Kirche. Durch mich fand sie mit der Zeit vermehrt den Weg dahin und heute engagiert sie sich auch aktiv.  

 

Wenn auch nicht aus christlicher Motivation, so hat mich meine Mutter doch unendlich geliebt. Sie liebte mich sozusagen für zwei, da ich keinen Vater hatte. Wohl deshalb kann ich heute anderen viel Liebe weitergeben. Ebenfalls wichtige Werte waren Hilfsbereitschaft und Willensstärke. Meine Mutter lehrte mich durch ihre nicht einfache Situation, immer dafür zu kämpfen, was einem wichtig ist. Noch heute haben wir ein sehr gutes, inniges Verhältnis. 

 

Vielleicht gerade wegen der nicht vorhandenen Beziehung zu meinem leiblichen Vater war Gott für mich immer wie ein Vater. Zudem war ein Lebenspartner meiner Mutter sehr wichtig für mich, ebenfalls ein Vater. Als er sehr jung starb, zog es mir den Boden unter den Füssen weg. Ich klagte Gott an, dass er mir schon wieder einen Vater weggenommen hatte. Im Nachhinein sehe ich aber auch Gottes Versorgung: Das Unglück geschah, als meine Mutter und ich wieder in einem Adonia-Lager waren – umgeben von Menschen, die sich um uns kümmerten. Am Ende bin ich stärker aus diesem Erlebnis herausgekommen. 

 

Es ist typisch für meinen Glaubensweg insgesamt: Er ist wie eine Achterbahnfahrt, aber mein Glaube ist am «Streiten» mit Gott immer gewachsen. Mittlerweile spüre ich schon inmitten einer schwierigen Situation, und nicht erst hinterher, dass Gott mich trägt. Ich bin nicht in einer «heilen Welt» aufgewachsen und kann nicht nur an das Gute glauben. Diese Grundhaltung hilft mir vielleicht im Umgang mit Schicksalsschlägen. 

 

Angela Muhmenthaler, 21 Jahre, studiert an der Höheren Fachschule TDS Aarau im 2. Jahr Gemeindeanimation. Parallel zum Teilzeitstudium arbeitet die gelernte Kleinkinder-Erzieherin in der Kirchgemeinde Leutwil-Dürrenäsch. Sie wohnt noch zuhause bei ihrer Mutter. 

Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Daniela Baumann. Sie ist Kommunikationsbeauftragte der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA. 

Wenn Kinder andere Wege gehen

11. September 2024 by

Wie weiter, wenn die eigenen Kinder als Jugendliche oder junge Erwachsene die Wege verlassen, die wir ihnen als Eltern gezeigt haben? Was, wenn junge Menschen «die Abzweigung nehmen» und dem Gott oder den Werten ihrer Eltern den Rücken zuwenden? Regula Lehmann hat darüber ein Buch geschrieben.

 

Kaum etwas stürzt uns als Eltern in tiefere Krisen, als wenn unsere Kinder Wege einschlagen, die wir bei aller Liebe nicht gutheissen können. Wenig schmerzt uns mehr, als wenn unser Nachwuchs alles ablehnt, was uns teuer oder heilig ist. Fakt ist jedoch, dass Kinder zu allen Zeiten andere Wege gingen und dass der Grund dafür nicht im Versagen der Eltern liegen muss, wie wir manchmal vorschnell annehmen. Die Bibel berichtet an vielen Stellen über Kinder, die andere Wege wählen. Das berühmteste aller Gleichnisse Jesu erzählt von einem Sohn, der seinen liebenden Vater tot wünscht und sein ehrbares Zuhause gegen einen Schweinestall eintauscht. Selbst beste Väter und Mütter können verlorene Söhne oder Töchter haben.

 

Kinder «müssen» keine anderen Wege gehen
Unsere Kinder können andere Wege gehen, aber es wäre verfehlt, fast schon davon auszugehen, dass sie dies tun werden. Viele Kinder gläubiger Eltern entscheiden sich im Lauf ihres Heranwachsens dafür, Jesus nachzufolgen, und reifen im Umfeld christlicher Gemeinden zu gefestigten Persönlichkeiten heran. Wenn Jesus das Leben ist, weshalb sollten unsere Kinder auf ihn verzichten wollen? Wenn alles, was Gott sagt, Leben bringt, weshalb sollten meine Teenies anderen Wegweisern folgen? Wenn Jesus mein eigenes Leben auf sicheren Grund stellt, weshalb sollten meine Jugendlichen ihr Leben nicht auch auf ihn bauen wollen?  

 

Freiheit verstehen 

Für Eltern, die ihre Kinder im Glauben erziehen wollen, ist es elementar, zu verstehen, was die Bibel zum Spannungsfeld von (Glaubens-)Erziehung und Freiheit sagt. Eltern haben von Gott her den Auftrag, ihren Kindern einen leidenschaftlichen, persönlichen Glauben weiterzugeben und vorzuleben. Die Entscheidung, ob Kinder diesen Weg später gehen wollen, liegt jedoch weder in der Macht noch in der Verantwortung der Eltern. Nachfolge ist eine freiwillige Sache, sie kann weder gemacht noch erzwungen werden. Dieses göttliche Prinzip der Freiheit zu verstehen und zu leben, ist «hohe Schule». Wirklich frei sind unsere Kinder nämlich nur, wenn sie absolut sicher sind, dass sie nicht an Wert verlieren und nicht «aus der Beziehung fallen», falls sie andere Wege gehen.  

 

Gleichzeitig sind wir als Eltern frei, an dem festzuhalten, was uns im Tiefsten erfüllt. Es hilft unseren Kindern nicht, wenn wir die «Wegweiser» umstellen. Denn diese zeigen immer den Weg zurück zu diesem Vater, der sie noch mehr liebt, als wir es tun könnten. Und noch eine Freiheit haben wir als Eltern zu jeder Zeit: Die Freiheit, mit Gott über unsere Kinder zu sprechen. Allein oder zusammen mit anderen, die mit uns dafür einstehen, dass unsere Kinder Gott neu kennen- und lieben lernen. Wenn Jesus für uns tatsächlich diese eine kostbare Perle und der einzige Weg zum Vater ist, können wir nicht anders, als unsere Kinder diesem himmlischsten aller Väter immer wieder ans Herz zu legen. 

Regula Lehmann ist verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Kindern. Sie leitet die Ehe- und Familienprojekte der Stiftung Zukunft CH und ist freiberuflich als Referentin, Elterncoach und Autorin tätig. Ihr Buch «Wenn Kinder andere Wege gehen» erschien 2022 im Fontis-Verlag. 

Vom Segen verschiedener Glaubenseinflüsse

4. September 2024 by

Selbst geprägt von unterschiedlichen Glaubenstraditionen und Frömmigkeitsstilen, stand Kati Rechsteiner mit ihrem Mann vor der Frage, wie sie ihre Kinder im Glauben erzieht. Und dies nicht nur zuhause, sondern als Pfarrerin auch in der Kirche.  

 

Für die Erziehung im Glauben war meine Mutter zuständig. Da sie katholisch war, prägten Rituale meinen (Kinder-)Glauben. Das Lied «Ich ghöre es Glöggli» zum Beispiel gehörte zum Abendritual und hat mein späteres Gottesbild mit der Zeile «dä lieb Gott im Himmel wird au mit mer si» geprägt: ein Gott, der es gut mit mir meint und präsent ist. Wir beteten oft, jedoch fast ausnahmslos mit vorformulierten Gebeten wie das «Unser Vater». Wir gingen auch an Wochentagen in die Kirche, um zu beten, eine Kerze anzuzünden und die Stille vor Gott zu suchen. Die (Kinder-)Bibel lernte ich an einem besonderen Ort kennen und schätzen – im Wartezimmer eines Hautarztes – und las während des Wartens fasziniert all die Geschichten.  

 

Mein Vater, in der reformierten Tradition aufgewachsen, hielt den Glauben für unwichtig. So sträubte er sich zu Beginn gegen das Tischgebet. Als ich mit 20 Jahren verkündete, Pfarrerin werden zu wollen und deshalb zu konvertieren, war dies für beide Elternteile ein Schock: für meine Mutter, weil ich nicht mehr katholisch war, und für meinen Vater, dass es in seiner Familie «tatsächlich einen Pfaffen» geben wird. Schliesslich fanden beide einen versöhnlichen Umgang damit.  

 

Gottes Gegenwart im Alltag 

Ich lernte in jungen Jahren meinen Mann kennen, durch dessen Familie ein weiterer Frömmigkeitsstil dazu kam. Seine Mutter war in einer Chrischona-Gemeinde aufgewachsen. Ich bin für diese unterschiedlichen Glaubenseinflüsse sehr dankbar, vereinfacht formuliert würde ich sagen: Ich habe die Ehrfurcht vor der Grösse Gottes in der katholischen Kirche gelernt, die Freiheit in Christus in der reformierten und die Begeisterung im freikirchlichen Umfeld. 

 

Während ich als Pfarrerin im Einzelpfarramt arbeitete, wuchs die Familie. Wichtig war uns, dass unsere Kinder erfahren können, dass Gott im normalen Alltag mit dabei ist. Die drei Kinder haben mich sowohl zuhause wie auch im Religionsunterricht in meiner Doppelrolle als Mutter und Pfarrerin erlebt. Da war mir die Authentizität sehr wichtig, denn sie merkten natürlich sehr gut, ob ich im Unterricht bei persönlichen Beispielen die Realität oder eher Wunschdenken wiedergab.  

 

Gewisse Grundsätze waren hilfreich: Ich verlangte von ihnen nicht mehr als von den anderen Kindern (z.B. bezüglich Gottesdienstbesuchen); bevor ich etwas aus dem Familienalltag im Gottesdienst erzählte, fragte ich sie und sie durften nein sagen; wir beteten vor dem Essen, auch wenn ihre Schulfreunde zu Besuch kamen. Einmal fragte ich nach, ob sie gehänselt würden, weil sie die Kinder der Pfarrerin sind. Die Antwort meines Sohnes war: «Nein, wieso auch? Wir sind ja Pfarrers Kinder!» 

Was Sohn Tobias, 23 Jahre, sagt 

Der christliche Glaube war im Pfarrhaus steter Bestandteil des Alltags. Und trotzdem fühlte es sich nie aufgezwungen an. Einerseits war bei uns zuhause immer Platz für kritische Fragen und Diskussionen, was einen offenen und authentischen Bezug zum Glauben förderte. Andererseits konnte ich beobachten, wie diese Werte auch praktisch gelebt werden. Die konkreten positiven Auswirkungen im Alltag, unabhängig vom Pfarrhaus, haben mich nachhaltig geprägt. 

 

Kati Rechsteiner ist verheiratet mit Andreas und Mutter von mittlerweile erwachsenen Kindern. Sie ist im Einzelpfarramt der reformierten Landeskirche tätig sowie Mitglied im SEA-Vorstand. 

«Mein ungeklärtes Gottesbild hat mir ein Bein gestellt»

28. August 2024 by

 Susanne* war zehn Jahre lang Mitglied einer Sekte und hat darum während jener Zeit ihre Kinder anders ins Leben begleitet, als sie es heute tun würde. Wie sie damit umgeht und trotz allem Gottes Güte erlebt. 

 

Dietrich Bonhoeffer schrieb: «Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.» 

Ich würde noch weiter gehen und sagen, dass er nicht nur mit ihnen fertig wird, sondern daraus sogar Gutes wachsen lassen kann. 

 

Zum Beispiel? 

Wir waren zehn Jahre lang Mitglied einer christlichen Gemeinschaft, die sich zu einer Sekte entwickelte. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich nun gute Sensoren, was missbräuchliche Tendenzen anbelangt, die es übrigens überall geben kann. 

 

Wie gehen Sie mit Ihren eigenen Fehlern und Irrtümern um, was die Auswirkungen Ihrer ehemaligen Sekten-Mitgliedschaft betrifft? 

Es war ein schmerzlicher Prozess der Versöhnung. Inzwischen sehe ich vor allem die Barmherzigkeit und Güte Gottes, ich könnte ein ganzes Buch über dieses Thema schreiben.  

 

Inwiefern? 

Zum Beispiel, dass uns viele Menschen unterstützten, als wir den Schritt aus der Sekte gemacht haben. Wir sind reich beschenkt worden, sei es mit tatkräftiger Hilfe wie Kinderbetreuung oder Einladungen, um in die Ferien zu gehen. Ich habe mal alles aufgeschrieben und ich kann Ihnen sagen, dass es eine unglaublich lange Liste geworden ist. 

 

Nochmals zu Irrtümern: Kennen Sie Selbstvorwürfe? 

Oh ja. Der grösste Schmerz ist wahrscheinlich der, dass ich meinem Herzen nicht gefolgt bin, mich einem System untergeordnet habe, das nicht meines war. Ich liess mir eine gewisse Herzenshärte aufdrücken. Lange Zeit kämpfte ich mit diesen Selbstvorwürfen, bis ich dank meiner Freundin ein Aha-Erlebnis hatte und merkte, dass diese Gedanken Anklagen sind und somit aus der falschen Küche kommen. Das war ein Prozess. Heute anerkenne ich das Vergangene und bin zugleich in eine Freiheit gekommen – auch bezüglich meiner Kinder.   

 

Erzählen Sie. 

Es tut mir leid, wenn sie jetzt, längst erwachsen, schwierige Themen haben, gleichzeitig knechtet mich diese Tatsache nicht mehr. Ich kann bei mir bleiben und klar sein. Und sie dürfen leben, wie sie wollen. Ich respektiere ihre Entscheidungen. Ich bin für sie da, unterstütze sie, wenn es mir möglich ist und sie dies wollen. Das ist bei jedem Kind unterschiedlich. Auch heute noch signalisiere ich meinen erwachsenen Kindern Offenheit bezüglich unserer Vergangenheit in der Sekte. Sie dürfen mir sagen, was sie als Kind nicht gut erlebt haben, damit ich mich dafür entschuldigen kann. Ich bin sehr beeindruckt von ihrer Grossherzigkeit. 

 

Was bedauern Sie mit Blick auf die Kindererziehung? 

Vieles. Dass ich die Kinder bestraft habe, zum Teil auch körperlich. Sie mussten parieren. Ähnlich, wie wir gegenüber der Sekte parieren mussten. Ich stehe dafür ein, dass Gewalt gegen Kinder immer falsch ist, sei es körperliche oder emotionale. Zudem lebten wir nur innerhalb unserer Familie und der Sekte. Wir kapselten uns gegen die vermeintlich gefährliche Aussenwelt ab. 

 

Das heisst? 

Während etwa acht Jahren hatten wir keinen Kontakt zu unseren Eltern, anderen Verwandten und zu den Gottis und Göttis unserer Kinder. Weihnachten und Ostern feierten wir nicht, weil sie als heidnisch galten. Wenn in der Schule die Weihnachtsfeier stattfand, behielten wir die Kinder zu Hause. Die Sekte hatte einen eigenen Kindergarten, den unsere Kinder besuchten. Sie gingen zwar in die öffentliche Schule, durften aber keine Klassenkameraden heimbringen oder zu ihnen spielen gehen. Hobbies in irgendwelchen Vereinen waren auch ein Tabu. Spielplätze besuchten wir nur zusammen und blieben unter uns. Allen, die anders glaubten und dachten, galt es – wenn immer möglich – aus dem Weg zu gehen.  

 

Das klingt anstrengend. 

Es war eine Kultur der Angst, im Sinne von: Bin ich dann wirklich dabei, wenn Jesus wiederkommt? Mein ungeklärtes Gottesbild hat mir ein Bein gestellt. Ich hatte zwar das Bild des gütigen Gottes – aber eben auch dasjenige von einem Gott, der Angst macht. Angst, ob ich genüge und genug für Gott gemacht habe. Angst, ob ich mich richtig und genug bekehrt habe. Und dieser Teil meines ungeklärten Gottesbildes bekam während der zehn Jahre in der Sekte die Oberhand. Diese Angst war überall. Die Kinder wuchsen in dieser Atmosphäre auf, noch bevor sie den ersten Atemzug genommen hatten. Eine Folge dieser Zeit war, dass ein paar unserer Kinder psychisch erkrankten. Das war eine erschütternde Erfahrung. 

 

Wie geht es Ihren Kindern heute? 

Sie machen ihren Weg. Wir haben die kleinen Schritte einer Genesung zu schätzen gelernt und viel Wiederherstellung, Gnade und massgeschneiderte Lösungen von Gott erfahren. 

 

Massgeschneidert? 

Für einen Sohn suchten wir zum Beispiel einen Ort, wo er nach dem Klinik-Aufenthalt sein, arbeiten und gesunden konnte. Irgendwie hörten wir von einer Bauernfamilie im Emmental. Es passte dann alles total gut und er verbrachte dort ein ganzes Jahr.  

 

Gibt es etwas, das Sie in der Kindererziehung heute noch gleich machen würden? 

Die Einfachheit, die wir hatten. Wir verbrachten viel Zeit draussen. Sei es im Wald oder am See oder am Fluss. Wir überhäuften die Kinder nicht mit Spielsachen und haben den Alltag miteinander verbracht. Ich würde sagen, ich war trotz allem aufmerksam im Umgang mit meinen Kindern. 

 

Was hat Ihnen bei der Verarbeitung der Sekten-Vergangenheit geholfen? 

Reden, reden, reden, den Schmerz auf diese Weise rauslassen. Schreiben, draussen sein, walken, Velo fahren. Und natürlich die Musik. Endlich konnte ich wieder die Weite der Musik geniessen. 

 

Zum Schluss nochmals ein Zitat über Fehler. Diesmal vom renommierten dänischen Familientherapeuten Jesper Juul (1948 – 2019): «Die besten Eltern machen 20 Fehler pro Tag.» 

Dem stimme ich zu. So ist das Leben. Und: Besser, als krankhaft Fehler vermeiden zu wollen, ist es, aus den Fehlern zu lernen. Wichtig ist, dass wir uns bei den Kindern für unsere Fehler entschuldigen und ihnen sagen, dass es uns leidtut. 

 

 *Susanne ist ein fiktiver Name, da die Person anonym bleiben möchte. 

Das Gespräch führte Martina Seger-Bertschi. Sie ist freischaffende Journalistin und liest gerne Bücher von Jesper Juul. 

“Versöhnung geschieht laufend”

19. August 2024 by

Die Stiftung «Gott hilft» in Zizers setzt sich seit 1916 für gezielte, professionelle Stärkung sozial schwacher oder bedürftiger Einzelpersonen oder ganzer Familien im Verlauf ihres Lebenszyklus ein. Im Jahr 2010 war die Stiftung mit medialen Vorwürfen und auch solchen von ehemaligen Heimkindern konfrontiert. Martin Bässler, Leiter der pädagogischen Angebote und Mitglied der Geschäftsleitung, erzählt im Interview, wie die Stiftung ihre Geschichte aufgearbeitet hat und welche Schlüsse daraus gezogen wurden.

 

Was waren die Ereignisse, die in der Vergangenheit vorgefallen waren, und wie wurden diese an die Öffentlichkeit gebracht?
Seit ihrer Gründung vor über 100 Jahren setzt sich die Stiftung Gott hilft für Kinder ein, die für kürzere oder längere Zeit nicht zu Hause aufwachsen können. Dieses Thema der «Fremdplatzierung» war, ist und bleibt ein sensibles Thema in unserer Gesellschaft. Im Jahr 2010 wurde ein Übergriff unter Jugendlichen von verschiedenen Medien aufgegriffen. Diese Berichterstattung war für uns als Stiftung belastend. Gleichzeitig wurde der Prozess der Aufarbeitung der Geschichte der Fremdplatzierungen in der Schweiz durch ehemalige Heimkinder und die Politik in Gang gesetzt. Aufgrund der langen Geschichte und Tradition der Stiftung Gott hilft war für uns von Anfang an klar, dass wir Teil dieser Aufarbeitung sein und uns aktiv daran beteiligen wollen.

 

Wie ging die Stiftung daraufhin konkret vor?
Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart erfordert den Mut oder vielleicht auch die Demut, auch auf das zu schauen, was nicht gut gelaufen ist. Konkret haben wir einen externen Untersuchungsbericht in Auftrag gegeben, der die «jüngere» Vergangenheit beleuchtet, bewertet und auch Massnahmen fordert. Zudem haben wir ein Forschungsprojekt bei einer Historikerin in Auftrag gegeben, welche die Geschichte der Stiftung im Kontext der Zeit beurteilte und die Licht- und Schattenseiten der Stiftungsarbeit beleuchtete. Daraus ist das Buch «Niemandskinder» entstanden.

 

Hat eine Versöhnung zwischen der Stiftung und den Betroffenen stattgefunden?
Ja, Verletzungen und Leid – verursacht durch Menschen und ihr Fehlverhalten – sind in der Stiftungsgeschichte passiert. Menschen wurde Unrecht angetan. Das Thema «Entschuldigung» ist ein zentrales Thema der Vergangenheitsbewältigung. Unser damaliger Gesamtleiter Daniel Zindel entschuldigte sich im Namen der Stiftung offiziell für das geschehene Unrecht und Leid. Aufarbeitung und Versöhnung geschahen und geschehen bis heute aber in persönlichen Begegnungen. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass auch viele beeindruckende Lebensgeschichten in der Stiftung Gott hilft geschrieben wurden, die Segensspuren hinterliessen.

 

Was hat die Stiftung aus der Vergangenheit gelernt, um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden?
Hier eine kurze Antwort zu geben, ist schwierig. In der Arbeit mit Menschen kann es zu schwierigen Situationen und Grenzverletzungen kommen. Es gibt keine Garantie, dass nichts passiert. Aufgrund der Aufarbeitung unserer Geschichte und der permanenten Herausforderung mit schwierigen Situationen ist aus den pädagogischen Angeboten der Stiftung der «Bündner Standard» entstanden. Dies ist ein Instrument zur Prävention und dem Umgang mit Grenzverletzungen.

 

Wie beurteilen Sie persönlich das Vorgehen der Stiftung im Aufarbeitungsprozess?
Im Prozess der Aufarbeitung hatte ich das Vorrecht, mit sehr wertvollen Personen unterwegs zu sein. Namentlich war Daniel Zindel, der ehemalige Gesamtleiter der Stiftung, mit seiner grossen Bereitschaft hinzuschauen, das Schwierige auszuhalten und auch daraus zu lernen und zu wachsen, für mich sehr prägend. Der Weg mit ihm inspiriert mich bis heute.

 

Welche Rolle spielt heute der christliche Glaube im Heimalltag und in der Erziehung?
Aus dem Glauben heraus, nicht zum Glauben hin: Das ist zusammengefasst heute unsere Haltung. Der Glaube ist für uns Mitarbeitende eine wichtige Ressource und Kraftquelle. Im Gegensatz zu früher haben wir aber keinen Missionierungsauftrag mehr an unseren Kindern und Jugendlichen. Primär haben wir einen Erziehungs- und Bildungsauftrag an den Kindern und deren Familien. Dieser wird auch durch Leistungsverträge der öffentlichen Hand definiert.

 

Welchen pädagogischen Ansatz wenden Sie in der Betreuung an?
In unseren pädagogischen Angeboten gibt es nicht den einen pädagogischen Ansatz. In unseren Rahmenkonzepten werden unsere Grundhaltungen und Ansätze ausführlich beschrieben und transparent gemacht. Persönlich bin ich der Überzeugung, dass es nicht nur einen Ansatz gibt, sondern wir fundierte fachliche Haltungen in unserer pädagogischen Arbeit anwenden, welche durch verschiedene Ansätze begründet werden. In der Stiftung fassen wir dies in unseren pädagogischen Leitlinien zusammen.
Die Vision der Stiftung Gott hilft ist: «Wir wollen das Potenzial von Menschen zur Entfaltung bringen, damit das Leben gelingt.»
Persönlich bin ich der Überzeugung, dass es nicht nur einen Ansatz gibt, sondern wir wenden fundierte fachliche Haltungen in unserer pädagogischen Arbeit anwenden, welche durch verschiedene Ansätze begründet werden. In der Stiftung fassen wir dies in unseren pädagogischen Leitlinien zusammen.
In unseren Pädagogischen Leitlinien zeigen wir auf, welche Grundhaltungen unsere Arbeit prägen. Aufbauend auf den drei Grundfragen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen – Wer bin ich (Identität)? Was kann ich (Ressourcen)? Wo gehöre ich hin (Beziehungen)? – geben wir unserer professionellen Arbeit eine fachliche Grundlage und machen die Bedeutung des christlichen Menschenbildes für die praktische Arbeit transparent.

 

Welche Möglichkeiten haben Ehemalige, wenn sie ihre Geschichte oder ihre Erfahrungen teilen möchten?
Wenn ehemalige Kinder und Jugendliche das Bedürfnis nach einem Gespräch haben, dürfen sie jederzeit vorbeikommen und wir nehmen uns Zeit und sind offen. Interessant ist, dass Ehemalige oft erst viele Jahre später, zum Teil sogar erst nach der Pensionierung, gewisse Fragen zulassen und nochmals über gewisse Sachen reden möchten.

 

Was empfehlen Sie anderen Organisationen, die ihre Vergangenheit aufarbeiten?
Nicht nur wir als Individuum haben unsere Biografie, auch jede Institution und Organisation hat ihre Geschichte. So wie ich mich entscheiden kann, mich meiner Biografie zu stellen, kann sich auch eine Institution für die Auseinandersetzung mit der institutionellen Biografie entscheiden. Sich auf diesen Weg zu begeben, empfehle ich allen Institutionen. Die Bearbeitung unserer Geschichte hat uns nachhaltig gestärkt und motiviert, uns für Menschen in schwierigen Lebensumständen zu engagieren.

 

 

Autorin: Lydia Germann

Das Gespräch führte Lydia Germann. Sie ist Praktikantin Medien und Kommunikation bei der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.

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