Erinnern Sie sich noch an die Marlboro-Fernsehwerbung? Ein braungebrannter Cowboy reitet in den Sonnenuntergang. Die Wildwest-Zigarettenwerbung verspricht Freiheit und Abenteuer, liefert aber vor allem Lungenkrebs.
Kirchen haben heute in etwa das Image von Marlboro. Da werde liebevolle Zuwendung und werthaltige Erziehung versprochen, aber geliefert werde ein toxisches Gemisch von dogmatischer Enge, reaktionären Rollenbildern und einer stark erhörten Gefahr von Übergriffen, so die öffentliche Meinung. Und so werden christliche Angebote, die sich an Kinder und Jugendliche richten, von Medien oder Behörden ab und an mit Warnhinweisen versehen.
Dieses Magazin ist kein Versuch der Imagerettung und auch keine PR-Kampagne für christliche Erziehung. Die Beiträge haben aufgezeigt, dass es so etwas wie die eine christliche Erziehung gar nicht gibt. Es gibt Christen, die sich in Familie, Kirche oder Gesellschaft erzieherisch engagieren. Zwar unterschiedlich, aber ehrlich, fundiert und hoffnungsvoll. Alle drei Aspekte sind mir in dieser Ausgabe begegnet und scheinen mir für eine gelingende Auseinandersetzung mit dem Thema Erziehung relevant.
Ehrlich: Wenn Erziehung in christlichen Familien, Institutionen und Kirchen gelingen soll, dann braucht es die Bereitschaft, hinzuhören und hinzusehen, auch auf die dunklen Schatten der Vergangenheit. Nur dann können Gerechtigkeit und Versöhnung passieren. Und nur dann können wir wirklich einen professionellen, achtsamen, sorgsamen und proaktiven Umgang mit grenzverletzendem Verhalten entwickeln. Im Netzwerk «Gemeinsam gegen Grenzverletzung» üben wir diese Kultur miteinander ein.
Ehrlichkeit bedeutet aber auch, dass wir Räume schaffen, in denen Scheitern in der Erziehung thematisiert werden kann. Dazu braucht es Vorbilder, die nicht nur hohe Ideale predigen, sondern auch Einblicke in ihre Kämpfe und Herausforderungen geben. Darum ist die Arbeit des Forums Ehe + Familie so wichtig. In dieser Arbeitsgemeinschaft sammeln sich Initiativen, die eben auch die Erfahrungen von Scham, Verletzungen oder Scheitern aufgreifen. Kirchen, die gesunden wollen, sollten sich diese Angebote nicht entgehen lassen.
Fundiert: Auch Erziehungsdebatten werden häufig von ideologischen Positionen dominiert. Diese radikalen Pole missachten zweierlei: Erziehungsthemen sind facettenreich und nicht schwarz-weiss. Und in vielen Fragen besteht durchaus eine breite Übereinstimmung. Wir wollen nicht den Polen zusätzliches Futter bieten, sondern vielmehr die fundierten und differenzierten Stimmen stärken, die sich verbindend in die gesellschaftliche Debatte einbringen. So haben sich Fachleute aus dem Allianz-Netzwerk fundiert zum Lehrplan 21, zur Gestaltung christlicher Kinder- und Jugendarbeit oder zum Umgang mit der digitalen Welt geäussert, die vielen Eltern Kopfzerbrechen und Teenies krank macht.
Christinnen und Christen wird ab und an Bildungsfeindlichkeit nachgesagt. Das Gegenteil stimmt: Bildung ist, so zeigt die Ge-Na-Studie eindrücklich, für Christen der mit Abstand wichtigste Fokus im Engagement für nachhaltige Entwicklung.[1] Den Tatbeweis liefern die Beiträge in diesem Magazin und vor allem unzählige christliche Lehrpersonen, die sich tagtäglich für Bildung einsetzen, damit sich junge Menschen fundierte Meinungen bilden können.
Hoffnungsvoll: In der Schweiz ist die Geburtenrate auf ein Allzeittief gefallen: auf 1,33 Kinder pro Frau. Um aber die Elterngeneration zu ersetzen, müsste eine Frau 2,1 Kinder in die Welt setzen.[2] Europa wird in diesem Jahrhundert um 100 Millionen Personen kleiner. Studien zeigen, dass dies nicht bloss an fehlenden ausserfamiliären Betreuungsangeboten liegt. Ein wesentlicher Grund sei die Unsicherheit, was die Zukunft angehe, so die Experten. Und so sind Christinnen und Christen heute schlicht dadurch Hoffnungszeichen, dass sie trotz allen Wolken am Horizont Familien gründen. Die Geburt jedes Kindes ist ein Zeichen der Hoffnung. Verschiedene Autorinnen und Autoren haben aufgezeigt, dass darin die kraftvolle Überzeugung steckt, dass diese Welt auch für dieses Baby schön und lebenswert sein wird – weil sie auch in Zukunft in Gottes Händen liegt.
[1] vgl. https://ge-na-studie.net/ (23.4.2024).
[2] vgl. https://www.nzz.ch/schweiz/schweizer-kriegen-immer-weniger-kinder-der-staat-kann-da-nicht-helfen-ld.1824934 (23.4.2024).
Andi Bachmann-Roth ist Co-Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.